Jusos warnen: Hochschulbildung wird zur sozialen Frage
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Sebastian Zachrau kann sich einen ironischen Satz nicht verkneifen: „Um zu Hause zu bleiben, braucht man natürlich erst mal ein Zuhause.“ Die eindringlichen Appelle, die Pandemie zu bekämpfen, indem man möglichst viel Zeit alleine verbringt, am besten in den eigenen vier Wänden bleibt – das ist für viele Studierende kaum möglich, meint das Vorstandsmitglied aus dem Zusammenschluss der freien Student*innenschaften (fzs).
Dabei sind die Probleme nicht neu, trotz der neuen Kampagne „Kluge Köpfe brauchen Dächer“: Studierende drängen in einen stark umkämpften Wohnungsmarkt. Sie konkurrieren vor allem um innenstadtnahen sozialen Wohnraum in größeren deutschen Städten. Daran ändert auch die Coronakrise wenig. „Es ist eine spannende Zeit“, sagt Benjamin Weiss über den Semesterbeginn, „aber sie ist auch mit viel Unsicherheit verbunden.“ Der gebürtige Göttinger und Juso weiß, wovon er spricht: In der traditionsreichen Universitätsstadt ist seit vielen Jahren der Wohnraum knapp. Studierenden harren gerade zu Beginn in Sporthallen oder Zelten aus, bis im Wohnheim oder in einer Wohngemeinschaft ein Platz frei wird.
Sozialer Wohnungsbau – auch von Hochschulen
Deswegen plädiert das Aktionsbündnis aus Juso-Hochschulgruppen, Campus-Grünen und freien Studierendenschaften für mehr sozialen Wohnungsbau. Konkret nehmen die Nachwuchs-Akademiker*innen die Universitäten und Fachhochschulen in die Pflicht. In einigen Städten, so Weiss, läge der Anteil derjenigen, die in Wohnheimen untergebracht sind, viel zu niedrig.
Die Wohnheime werden von den Studierendenwerken vor Ort unterhalten, die als Institution der Hochschule von den Ländern finanziert werden. Der Zuwachs der Wohnheimplätze hat mit dem Anstieg der Studierendenzahlen in den vergangenen Jahren nicht Schritt gehalten, rechnet Weiss vor: „Es gab in Deutschland seit 2007 47 Prozent mehr Studierende, aber nur acht Prozent mehr Wohnheimplätze.“ Ein Extrembeispiel aus Hessen: „In Gießen kommen auf einen solchen Wohnheimplatz 1300 Bewerbungen.“
Ein anderes Beispiel: Bonn. Während die Uni an Beliebtheit gewinnt, weil sie Exzellenz-Auszeichnungen erhält, suchen immer mehr Studierende nach bezahlbaren Wohnraum. Gleichzeitig steigen die Mieten. Zachrau sieht darin einen Zusammenhang und kritisiert: „Das wird nicht zusammengedacht.“ Ostdeutsche Städte wie Erfurt, ergänzt Weiss, hätten lange Vorteile beim Thema bezahlbaren Wohnraum gehabt, doch das sei inzwischen auch vorbei.
Außerdem, das berichten neben Weiss auch Christina Markfort, Vorstandsmitglied der Campus-Grünen sowie Jonathan Dresch vom fzs, nehmen vielerorts die teuren Sanierungsprojekte zu. Luxusappartments können sich Studierende aber nicht leisten. Damit werde die Wahl des Hochschulorts immer mehr zur sozialen Frage. Doch der Geldbeutel der Eltern sollte nicht über den Studienort oder ein Studium generell entscheiden. „Jeder der will, soll studieren können“, fordert Zachrau. Die Hochschulen müssten ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und sie nicht allein auf den sozialen Wohnungsbau der Kommunen abschieben.
Deswegen fordern die Studierenden mit Blick auf die Bundestagswahl einen „Hochschul-Sozialpakt“. Eine der zentralen Forderungen: Das Wachstum eines Campus solle einhergehen mit zusätzlichem Wohnungsbau. Dafür bräuchten die Studierendenwerke aber auch mehr Geld von Bund und Ländern.
Unterstützung aus der SPD im Bundestag
Forderungen, die Oliver Kaczmarek aus der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt. Die SPD-Fraktion trete für die Förderung studentischen Wohnraums ein, der Bund könne durch eine Grundgesetzänderung seit 2019 auch die Länder dabei finanziell unterstützen. „Damit sind die Länder, deren Aufgabe der soziale Wohnungsbau ist, in der Verantwortung“, so der bildungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Er begrüßt die Kampagne der Studierenden. Diese sei „ein Appell, die Bedürfnisse der Studierenden ernst zu nehmen“. Die SPD wolle einen Hochschulsozialpakt aber weiter fassen: „Aus meiner Sicht muss die Entwicklung der gesamten studentischen Infrastruktur, also neben dem Wohnen auch Beratungsangebote, Betreuung und Mensen mit den steigenden Studierendenzahlen Schritt halten.“
Daran dürfte auch die Corona-Krise langfristig wenig ändern, trotz der derzeit vielen digitalen Lehrangeboten der Universitäten. Die SPD fordere eine bessere Finanzierung, über den „Qualitätspakt Lehre“, die digitale Lehre solle die Präsenzlehre aber ergänzen und nicht ersetzen, sagt Kaczmarek: „Das gelebte Studieren an einer Hochschule ist eine wichtige Erfahrung für die persönliche Entwicklung.“ Eine „digitale Hochschule“ sieht der Sozialdemokrat nicht als geeignetes Mittel, um den studentischen Wohnungsmarkt zu entlasten.
Weitere Forderungen der Kampagne „Kluge Köpfe brauchen Dächer“ finden sich auf der Seite des Aktionsbündnisses.