Inland

Ist der Osten besser als sein Ruf?

von ohne Autor · 17. September 2010
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In der Rückschau werde die Agenda 2010 "die große Erfolgsgeschichte" in der Wirtschaftshistorie der Bundesrepublik sein. Sie habe dem deutschen Arbeitsmarkt einen Niedriglohnsektor und dringend benötigte Flexibilität beschert, urteilt Hans-Werner Sinn, der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Das in rot-grünen Kreisen derzeit eher unerbetene Lob fiel während eines Symposiums in der thüringischen Landesvertretung in Berlin. Thema: Made in Germany - Noch 20 Jahre bis zur wirtschaftlichen Einheit?

Während der Gastgeber, Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), ein eher positives Bild der ostdeutschen Wirtschaftslage zeichnete und einen massiven Ausbau der dortigen Forschungsinfrastruktur forderte, unterstützt von seinen Kollegen aus den anderen fünf "neuen" Bundesländern, zeigten Sinn und sein Ökonomen-Kollege Karl-Heinz Paqué, wie sich aus (fast) identischen Zahlen sehr unterschiedliche Schlüsse ziehen lassen.

Für Paqué, selbst einst Finanzminister in Sachsen-Anhalt und FDP-Mitglied, ist der Aufbau Ost im Prinzip gelungen: "Die volkswirtschaftliche Bilanz ist beachtlich." Für Sinn hingegen wurden 13 Jahre verschenkt; durch eine falsche Privatisierungspolitik und zu hastige Lohnanstiege: "Vermögen wurde an Westdeutsche verhökert, und Ostdeutschen wurden Löhne versprochen, die man nicht in der Lage war zu bezahlen." Damit habe die Treuhandstelle im Übrigen gegen Art. 25.6 des Einigungsvertrages verstoßen, der die Verwandlung des einstigen DDR-Staatsvermögens in echtes Volksvermögen vorgeschrieben habe.

Einigung ohne ostdeutsches Unternehmertum
Wären Belegschaften einstiger DDR-Firmen zu Eigentümern geworden, hätte sich, davon ist Sinn überzeugt, ein "originäres" ostdeutsches Unternehmertum gebildet. Daran mangele es bis heute. In diesem Punkt immerhin waren Paqué und er sich einig.

Die Treuhandstelle, verteidigte Paqué deren Wirken, habe "sehr schnell irreversible Entscheidungen" treffen müssen, um eine massive Abwanderung aus dem Gebiet der einstigen DDR in den Westen zu verhindern. Außerdem habe sie die Rolle des Sündenbocks übernommen und so Ärger von Politikern abgelenkt: "Hinter der Treuhand konnten Bundes- und Landespolitiker sich verstecken."

Einen "massiven Aderlass" gerade an jungen, gut ausgebildeten Bürgern, hielt Sinn dagegen, habe es eben doch gegeben, trotz der schnellen Privatisierung. Und in umgekehrte Richtung seien zwanzig mal so viele Hilfsgelder von Westen nach Osten geflossen, als Oskar Lafontaine 1990 vorausgesagt habe - "wofür er fast gelyncht worden wäre": 1,2 Billionen Euro.

Während der Osten am Tropf des Westens hänge, wandere gleichzeitig Kapital aus dem Osten ab, statt dort investiert zu werden: "Zwei Drittel der Ersparnisse wurden ins Ausland getragen, zu Lehman Brothers oder nach Griechenland." Sinn, ganz ohne professorale Zurückhaltung: "Das ist pervers!"

Gastgeber Matthias Machnig (SPD), wollte, unisono mit seinen Minister-, Staatssekretärs- und Senatorenkollegen aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, lieber nach vorne blicken. Tenor: Der Osten sei viel besser als sein Ruf. Ralf Christoffers (SPD, Brandenburg) versicherte, ohne die anwesenden Volkswirtschaftler anzusehen: "Die Zahlen bilden nicht immer die Wirklichkeit ab."

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