Kreative und Politiker leben scheinbar in unterschiedlichen Welten. Dass sie sich dennoch einiges zu sagen haben, zeigt sich am Montag im Berliner Radialsystem. Hier diskutieren Sänger wie Pierre Baigorry (Peter Fox und Seeed) und Schauspieler Clemens Schick mit dem SPD-Spitzenkandidaten zur Europawahl Martin Schulz.
Wenn der gemeinsame Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie Martin Schulz mit dunklem Anzug, weißem Hemd und gestreifter Krawatte, Oliver Reinhard aka Logan Zufall, einem Pferdeschwanz tragenden Sänger mit buntem T-Shirt, Hipsterbrille und knallroter Hose begegnet, scheinen auf den ersten Blick zwei sehr unterschiedliche Welten aufeinanderzutreffen.
Dass dieser Eindruck täuscht, zeigt sich am Montag im Berliner Radialsystem während des Gesprächs des EU-Parlamentspräsidenten mit Künstlern der unabhängigen Künstlerinitiative „GehtAuchAnders“, die sich vor der Bundestagswahl 2013 gegründet hatte. Beiden gemein ist ihr starkes Interesse für Europapolitik und das europäische Zusammenleben.
Querbeet, von der inneren Beschaffenheit der politischen Institution EU, über die Besonderheiten der jetzigen Europawahl, bis zur konkreten Asyl- und Flüchtlingspolitik reichen die Fragen der acht Künstlerinnen und Kulturschaffenden an Martin Schulz. „ Wieso wird die EU mit dieser Wahl demokratischer?“, will die Musikredakteurin Claudia Frenzel wissen. „Wie geht man als Europaparlament mit den Skeptikern in den eigenen Reihen um?“, fragt der Schauspieler Clemens Schick.
Strengere Regeln für Europafeinde
Vier Minuten Zeit hat Martin Schulz, um die Fragen des jeweiligen Kulturschaffenden zu beantworten. Glocke und Triangel mahnen das Einhalten der Redezeit an. Dennoch gibt sich Schulz Mühe, die Fragen umfassend zu beantworten und ignoriert im Zweifelsfall – „Politik ist unheimlich schwierig, da will ich jetzt nicht im Schweinsgalopp durch“ – auch die zeitliche Reglementierung.
Etwa dann, wenn es um den Umgang mit den Euroskeptikern im Parlament geht, der für den Spitzenkandidaten der Sozialdemokratischen Parteien Europas (SPE) „eine der schwierigsten Fragen Europas“ ist. Arbeit bereiten ihm die 60 bis 70 rechten Europaabgeordneten wie die französische Parteichefin der Front National Marine Le Pen keine, sagt Schulz. „Die machen nichts, nada.“ Sorge hingegen schon. „Die Spaltertendenzen sind das Schlimmste, was Europa im 20. Jahrhundert passiert ist.“ Für solche Spiele mit nationalstaatlichen und europafeindlichen Ressentiments, wie sie etwa der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán schüre, bedürfe es eines strengeren Regelwerks, fordert Schulz. „So wie es für die ökonomische europäische Gemeinschaft bereits gilt.“
Epochenwechsel im Datenschutz
Die Energiewende und der europaweiter Klimaschutz sind die Themen, um die sich die Fragen des Sängers Pierre Baigorry drehen. „In vielen Ländern der EU spielt der Klimaschutz keine Rolle, wie sieht ihr Lösungswegs hier aus?“, fragt Baigorry. Ähnlich wie der SPD-Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wirbt Schulz aus dem europäischen Blickwinkel für eine erfolgreiche Energiewende. „ Mit der Energiewende in Deutschland haben wir eine Modellrolle: Wenn uns das gelingt, ist die These widerlegt, dass sich ökonomisches und ökologisches Handeln ausschließen.“
Zur Finanztransaktionssteuer, die er für eine Frage der Gerechtigkeit hält, äußert sich Schulz ebenso, wie zum umstrittenen Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP), zu dem ihm bereits am Montagmorgen vom Kampagnennetzwerk Campact Unterschriften übergeben worden waren (zum Artikel). Ausdrücklich warnt der EU-Parlamentspräsident vor einer neuen Epoche im Datenschutz –„wir werden als Menschen fremdbestimmt“– und fordert Veränderungen im europäischen Datenschutzrecht, etwa die Umkehr der Beweispflicht von Verbrauchern und Unternehmern im Umgang mit Nutzerdaten.
Die meisten Fragen beschäftigen sich auch aufgrund der Kürze der Zeit mit Schulz’ Vorstellung einer sozialdemokratischen europäischen Politik. Kontroverser wird die Diskussion als es um ein mögliches Asyl für den US-amerikanischen Whistleblower Edward Snowden geht. „Peinlich“ nennt Blogger Rayk Anders das europäische Vorgehen. „Snowden hat einen politischen Prozess ausgelöst, für den wir ihm dankbar, sein sollten,“ betont Schulz. Er sei Pragmatiker: Dass Snowden geschützt werde, sei bedeutsamer als die Art und Weise des Schutzes. Und: „Politik ist nicht peinlich, sondern nur unheimlich schwierig.“