Hass im Netz: „Das Problem ist nicht mehr zu leugnen.“
Thomas Trutschel/photothek.net
Frau Brodnig, wirklich präsent ist das Thema Hass im Netz seit Aufkommen der Flüchtlingsdebatte. Hat sie ein Ventil geöffnet?
Hass im Netz ist so alt wie das Netz selbst. Schon die ersten Diskussionsforen hatten damit zu kämpfen, bereits während der 90er Jahre formierten sich online regelrechte Hassgruppen. Das Problem ist von Anfang an da.
Dennoch spült gerade die Flüchtlingsdebatte Hass und Vorurteile an die Oberfläche. Warum?
Die Flüchtlingsdebatte hat ein neues Level an Wut zum Vorschein gebracht. Das ist kein großes Wunder: Je mehr ein Thema die Gesellschaft polarisiert, desto mehr spiegelt sich die Polarisierung auch online wieder, wird durch manche Effekte der digitalen Kommunikation sogar zusätzlich angeheizt. Der Hass kommt nicht aus dem Internet, er kann sich dort aber wunderbar verbreiten.
Haben wir, hat die Öffentlichkeit dem zu lange tatenlos zugesehen?
In den Medienhäusern wurden Diskussionen unterhalb von Artikeln, in klassischen Zeitungsforen, zu lange ignoriert. Ihnen wurde zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das änderte sich erst als klar wurde, dass dort ständig strafrechtlich relevante Aussagen getätigt werden. Die Flüchtlingsdebatte hat das dann noch verschärft und war eine Art Weckruf. Der Moment, von dem an man nicht mehr wegschauen konnte.
Was unterscheidet die Flüchtlingsdebatte von anderen umstrittenen Themen?
In der Flüchtlingsdebatte werden Tabus immer wieder unterschritten, die in unserer Gesellschaft unumstößlich sind. Aufrufe, Flüchtlinge zu vergasen oder die KZ’s wieder aufzusperren, das ist eine Art der Gewaltandrohungen, vor der keiner wegschauen kann. Das Problem mit Hass im Netz ist jetzt nicht mehr zu leugnen.
Einzelne Medien sperren deshalb ihre Kommentarfunktion. Eine gute Reaktion?
Dadurch wird das Problem weggeschoben. Wenn Medien ihren Lesern keine digitalen Räume mehr zur Verfügung stellen, in denen sie über Inhalte diskutieren können, dann werden es die Leser woanders machen. Medien vergeben so die Chance, Gastgeber einer öffentlichen Debatte zu sein. Die dafür nötige Moderation ist leider sehr teuer.
Wie realistisch ist es, dass die Branche in Zeiten der Medienkrise in Moderation investiert?
Jede Debatte unter jedem Artikel zu moderieren, ist kaum möglich. Es braucht Kompromisse: Ich muss vielleicht nicht unter jedem Text eine Diskussion ermöglichen, aber ich muss genügend Diskussionen ermöglichen. Es ist besser, sich auf einige wenige Debatten zu konzentrieren, die auf hohem Niveau geführt werden.
Bemühungen, das Niveau zu heben, unternimmt jetzt auch Facebook. Angestoßen hat die Initiative Justizminister Heiko Maas. Ein überfälliger Schritt?
Tatsächlich hat der Druck aus den deutschsprachigen Ländern dafür gesorgt, dass Hass im Netz für Facebook zu einem größeren Thema geworden ist. Solange Facebook jedoch keine Informationen darüber herausgibt, wie viele Moderatoren es einsetzt und wie viele Kommentare gelöscht werden, bin ich sehr vorsichtig damit, das zu bewerten. Dass Minister Facebook dazu aufrufen, geltende Gesetze einzuhalten, finde ich aber extrem sinnvoll. Entscheidend wird sein, mit welcher Härte auf die Umsetzung der Forderungen gedrungen wird.
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