Glyphosat: Wie Merkel immer mehr die Kontrolle verliert
Kontrollverlust – so titelte „Der Spiegel“ im Oktober 2015 zur Flüchtlingssituation in Deutschland. Im Mittelpunkt des damaligen Titelbildes eine zur Zwergin geschrumpfte Kanzlerin, völlig überfordert mit der Situation.
Ministervotum an der Kanzlerin vorbei
Kontrollverlust prägt das Agieren von Angela Merkel auch nach der Bundestagswahl, bei der sie mit 32,9 Prozent das schlechteste Ergebnis erzielte, das jemals ein CDU-Kanzler zu verantworten hatte.
Der Skandal um das Votum von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) zur weiteren Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat in Brüssel ist das aktuellste Beispiel für den Kontroll- und Machtverlust Merkels. Der CSU-Minister handelte nämlich – nach eigenen Angaben – ohne Absprache mit der Kanzlerin. „Ich habe die Entscheidung für mich getroffen“, erklärte Schmidt.
Klarer Bruch der Geschäftsordnung der Regierung
Sein Votum ist ein glasklarer Bruch der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Die sieht zwingend eine Stimmenenthaltung in Brüssel vor, wenn die beteiligten Minister nicht einig sind. Genau das war seit Monaten der Fall und es war allen Beteiligten bestens bekannt: SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks war gegen die weitere Glyphosat-Zulassung, CSU-Agrarminister Schmidt dafür.
Dass sich der CSU-Minister über das Nein der SPD-Kollegin eiskalt hinwegsetzte, ist nicht nur ein schwerer Vertrauensbruch gegenüber der Sozialdemokratie als Partner in der geschäftsführenden Bundesregierung. Es offenbart auch, wie wenig Autorität Merkel noch bei den eigenen Ministern genießt: wenn die ohne Zustimmung der Kanzlerin einsame Entscheidungen treffen, die so klar und eindeutig gegen die Geschäftsordnung der Regierung verstoßen und damit weitreichende Folgen haben können.
Zweifel an der Regierungs- und Koalitionsfähigkeit
Es ist die Kanzlerin, die als Regierungschefin die oberste Verantwortung dafür trägt, dass die Geschäftsordnung ihrer Regierung eingehalten wird, von allen Ministern und zu jeder Zeit. Ein Regierungschef, der nicht in der Lage ist, das sicherzustellen, weckt ernste Zweifel in seine Regierungsfähigkeit. Und in seine Koalitionsfähigkeit.
Hier zeigt sich eine weitere Folge von Merkels Kontroll- und Autoritätsverlust. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die CDU-Chefin der SPD Gespräche anbietet, „ernsthaft, engagiert, redlich(!)“, torpediert der CSU-Minister genau das mit seinem üblen Foul gegenüber der SPD. Einen schlechteren Auftakt für die Gespräche der Parteichefs von Union und SPD beim Bundespräsidenten am Donnerstag ist schwer vorstellbar.
Scheitern von Jamaika ist Merkels Scheitern
Merkel verliert ganz offensichtlich immer mehr die Kontrolle. Das zeigte sich bereits, als sie in der eigenen Partei krachend damit scheiterte, die frühere Bundesbildungsministerin Annette Schavan als Chefin der Adenauer-Stiftung durchzusetzen. Ausgerechnet der als Merkel-Kritiker bekannte ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert soll nun den Chefposten der Stiftung übernehmen. Eine doppelte Niederlage für Merkel.
Wie wenig Überblick und Kontrolle Merkel noch hat, offenbarte auch das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen. Niemand trägt für dafür mehr Verantwortung als die Verhandlungsführerin. Hier scheiterte Merkel auf allen Ebenen: mit ihrem unpraktikablen Format der Verhandlungen, bei ihrer vergeblichen Suche nach inhaltlichen Lösungen und bei ihrem erfolglosen Versuch, Vertrauen zwischen den Verhandlungspartnern zu schaffen. Das Scheitern von Jamaika ist zu allererst das dramatische Scheitern von Angela Merkel.
Das System Merkel funktioniert nicht mehr
In der Union steht die Kanzlerin spätestens seit dem Debakel bei der Bundestagswahl unter verschärfter Beobachtung. Dort wird genau registriert, wie das so genannte System Merkel immer mehr erodiert, wie es schlicht nicht mehr funktioniert: nicht in der CDU, nicht in den Sondierungsgesprächen und auch nicht mehr in der Bundesregierung. So kann man nicht regieren, so kann Merkel nicht regieren. Sie sollte daraus Konsequenzen ziehen.