Dass sie lieber ein Gesetz hätte, geht aus den Worten von Christine Bergmann (SPD) klar hervor. Die ehemalige Bundesfamilienministerin nennt gleich mehrere Punkte, wo aus ihrer Sicht bei der
Chancengleichheit von Frau und Mann in der Privatwirtschaft einiges im Argen liegt. So sei die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen weiter zu Lasten der Frauen auseinandergegangen. Mädchen
seien schulisch oft erfolgreicher als Jungen und verfügten nicht selten über höhere soziale Kompetenzen. Dennoch seien sie im Beruf im Durchschnitt weniger erfolgreich. "Im Top-Management gibt es
viel weniger Frauen als Männer. Und die Frauen, die den Weg nach ganz oben schaffen, verdienen 27 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen."
Christine Bergmann: "Frauen mussten sich immer alles mühsam erkämpfen"
Christine Bergmann unterstreicht auch, dass Frauen niemals etwas geschenkt wurde: "In der Geschichte mussten wir Frauen um jede handbreit Boden sehr hart kämpfen." Bergmann selbst ist dafür
ein Beispiel. In ihrer Amtszeit als Ministerin wurde ein Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern entworfen. In Kraft getreten ist es jedoch bis heute nicht. Die damalige Bundesregierung
setzte stattdessen auf freiwillige Regelungen. Im Jahr 2001 wurde die "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit
von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft" geschlossen.
In unterschwelliger Anspielung auf ihre männlichen Kollegen in der Bundesregierung zitiert die ehemalige Ministerin den Soziologen Ulrich Beck. Dieser habe den Umgang des Mannes mit dem Thema
Chancengleichheit als "verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre" charakterisiert.
Ingrid Sehrbrock: "Ein Gesetz muss her"
"Eine freiwillige Vereinbarung kann nicht das leisten, was ein Gesetz leisten kann", findet die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock (CDU). Man habe inhaltlich in all den Jahren,
in denen das Thema schon behandelt werde, nicht sehr viel erreicht. Sie kritisiert: "Richtig vorangekommen sind wir nicht!" Ihr Fazit: die Arbeitgeber müssen zum Handeln verpflichtet werden. "Mit
Appellen und Vereinbarungen kommen wir nicht weiter. Ein Gesetz muss her", meint die stellvertretende DGB-Vorsitzende. Gleichzeitig kündigt sie an, dass die Gewerkschaftsfrauen an diesem Punkt
nicht locker lassen werden.
Abteilungsleiterin im Familienministerium: "Es gibt Erfolge"
Ganz so schwarz stellt sich die Situation nach Auffassung von Eva Maria Welkop-Deffaa nicht dar. Die Leiterin der Abteilung Gleichstellung im Bundesfamilienministerium präsentiert die beiden
Bilanzen, die bislang zu der freiwilligen Vereinbarung aus dem Jahr 2001 veröffentlicht wurden. In der Tat gebe es nach wie vor eingeschränkte Berufswahlmöglichkeiten für Mädchen, räumt sie ein.
"Aber die Wirtschaft hat erkannt, dass die Mädchen besser informiert werden müssen", ist sie überzeugt. Als Beispiel nennt sie den "Girls' Day", der seit einigen Jahren sehr erfolgreich praktiziert
werde. Und Fortschritte seien durchaus vorhanden. Mit einer Frauenerwerbsquote von 59,2 Prozent belege Deutschland einen der vordersten Plätze innerhalb der EU. Allerdings seien viele Frauen im
unteren Lohnsektor tätig, übten Minijobs aus oder arbeiteten in Teilzeit. Auch auf das Problem "Karriereknick Kinder" kommt die Abteilungsleiterin zu sprechen. "Frauen starten ähnlich erfolgreich
ins Berufsleben wie ihre männlichen Kollegen. Jedoch gibt es mit Beginn der Familiengründungsphase einen deutlichen Einbruch." Auch den Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen will Eva
Maria Welskop-Deffaa nicht schön reden. "Hier belegt Deutschland einen der letzten Plätze weltweit", sagt sie.
Für die Zukunft zeigt sich Welskop-Deffaa insgesamt optimistisch. Sie führt positive Beispiele aus den USA an, wo Unternehmen mit aktiver Frauenförderung bessere Ergebnisse erzielten. "Es ist
eine Binsenweisheit, das die Wirtschaftsverbände dann aktiv werden, wenn sie für sich selbst Vorteile sehen."
BDA-Vertreterin: "Sind auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel"
Auch Carlotta Köster-Brons von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist positiv gestimmt. "Wir sind auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel", lautet ihre
Einschätzung. Genauso wie die anderen Sprecherinnen sieht sie Schwachpunkte, wo noch Handlungsbedarf besteht. Ein Gleichstellungsgesetz ist ihrer Ansicht nach aber der falsche Weg, um weiter zu
kommen. "Ein Gesetz bedeutet Bürokratie. Und Bürokratie ist ein Standortnachteil." Köpfe seien rund, damit sich das Denken ändere. Mit einem Gesetz werde das Denken aber zementiert, nicht
verändert, findet sie.
DGB-Abteilungsleiterin: "Wie lange sollen wir noch warten?"
Diese Ansicht wird von Claudia Menne nicht geteilt. Die Leiterin der DGB-Abteilung Gleichstellungs- und Frauenpolitik moniert, dass man in Deutschland nur im Schneckentempo vorankomme. Die
Entwicklung könne durch ein Gesetz deutlich beschleunigt werden. "Wie lange sollen wir denn noch warten?" fragt sie. Weitere Verbesserungen erhofft sie sich aber bereits vom Allgemeinen
Gleichstellungsgesetz (AGG), das der Bundestag im Juni verabschiedet hat. Derzeit sei der DGB jedoch aufklärerisch unterwegs. "Gleichstellung, Gleichbehandlung - diese Begrifflichkeiten werden von
vielen Bürgern durcheinander geworfen", so Claudia Menne. Darum erläutert sie noch einmal den Unterschied. Das Gleichstellungsgesetz beschäftige sich ausschließlich mit der Gleichstellung von Mann
und Frau, im Gleichbehandlungsgesetz sei dies nur ein Aspekt von vielen. Es gehe um die Bekämpfung von Diskriminierung im Allgemeinen. Deshalb werde dieses Gesetz auch als
Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet.
Jürgen Dierkes
(Quelle: eigene Recherche)
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