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Gleichberechtigung nach Corona: Giffey fordert Aufwertung sozialer Berufe

Hat die Krise Fortschritte in der Gleichstellung zunichte gemacht? Zumindest teilweise, sagt Familien- und Frauenministerin Franziska Giffey. Um wieder auf den richtigen Weg zurückzukommen, will die Sozialdemokratin an mehreren Stellschrauben drehen.
von Kai Doering · 30. Juni 2020
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey.

Während der Corona-Pandemie haben vor allem Frauen ihre Arbeitszeit reduziert, um ihre Kinder zu betreuen. Warum ist das so, Franziska Giffey?

Es scheint so zu sein, dass wir in der Krise teilweise in alte, traditionelle Rollenbilder zurückfallen. Aber Kitas und Schulen haben ja längst schrittweise wieder aufgemacht, so dass der entscheidende Faktor weggefallen ist: Die fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Gerade durch die Krise ist mehr als deutlich geworden, wie wichtig gute und verlässliche Kinderbetreuungsangebote sind: einerseits für das Wohlergehen von Kindern und Eltern, andererseits aber auch damit das Gesamtsystem funktioniert. Eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist sonst nur schwer möglich.

Welche Rolle spielen die Männer dabei?

Eine untergeordnete, aber keine unerhebliche. Klar zu beobachten ist doch: Frauen halten oft den Laden in der Krise am Laufen. Sie arbeiten vor allem in Berufen, die jetzt systemrelevant sind: ob im Supermarkt, im Krankenhaus oder Pflegeheim, in Kitas und Schulen, und zugleich sind es Frauen, die zum großen Teil den Haushalt machen und sich um die Kindererziehung kümmern. Aber es ist natürlich nicht nur schwarz-weiß. Dafür hat sich in den vergangenen Jahrzehnten einfach zu viel bewegt. Es gibt viele Väter, die sich zu Hause in der Hausarbeit und Erziehung einbringen. Das sehen wir zum Beispiel auch an den stetig steigenden Zahlen der Väter, die Elterngeld beziehen und die länger Elternzeit nehmen. Heute nehmen gut 40 Prozent der Väter Elternzeit – ja, meist nicht so viel wie die Mütter, aber oft mehr als die zwei Mindestmonate. Vor zehn Jahren waren es nur 3 Prozent.

Wie sich Paare die Arbeit im Detail aufteilen, ist natürlich ihre eigene Entscheidung. Aber dass sich viele Väter zunehmend beteiligen und mehr Zeit für ihre Kinder und Familie wünschen, nehme ich schon wahr. Und ich finde: Wenn Väter nicht von selbst sehen, was Zuhause alles zu tun ist, dann müssen Frauen ein klares Signal senden und sagen: Jetzt bist Du dran mit Wickeln oder die Wäsche aufhängen – ich muss in die nächste Besprechung.

Forscher*innen warnen bereits, dass es dadurch zu einem Rollback bei der Geschlechtergerechtigkeit kommen könnte. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?

Es stimmt: Dort wo Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern schon bestanden, haben sich diese teilweise weiter verschärft, sie sind auf jeden Fall sichtbarer geworden. Dass uns die Corona-Krise aber gleichstellungspolitisch um Jahrzehnte zurückgeworfen habe, halte ich in dieser Dimension für übertrieben. Was nicht heißt, dass wir die Entwicklung nicht ganz genau verfolgen und aufpassen müssen: Die Krise zeigt, wie zerbrechlich unsere Erfolge bei der Gleichstellung sind. Aber gibt es eine Rolle rückwärts? Um diese Frage zu klären, haben wir das Allensbach-Institut für Demoskopie mit einer Studie beauftragt. Das Ergebnis: Wo Eltern wegen fehlender Kinderbetreuung die Berufsarbeit reduzieren mussten, steckten Frauen häufiger zurück - aber nur geringfügig: 22 Prozent der Mütter und 18 Prozent der Väter verringerten ihre Arbeitszeit, da dies wegen der Kinder nötig war.

Was kann dagegen getan werden?

Wir müssen die partnerschaftliche Aufteilung in den Familien weiter voranbringen und dafür zusätzliche Anreize schaffen, zum Beispiel über entsprechende Anpassungen beim Elterngeld und ElterngeldPlus.

Wir müssen aber auch an anderen Stellschrauben drehen: zum Beispiel an der Aufwertung sozialer Berufe, in denen fast 80 Prozent Frauen arbeiten, und am Gender-Pay-Gap. Denn meist sind es eben die Frauen, die Hausarbeit und Kindererziehung schultern und zurückstecken, wenn es darum geht, wer zeitweise zuhause bleibt – eben auch weil sie oft weniger verdienen.

Sie haben gefordert, Hilfen des Staates für Unternehmen auch an Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu knüpfen. Woran denken Sie dabei?

Rettungsprogramme für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Handel sind wichtig, und davon profitieren auch Millionen Familien. Aber ich finde: Wenn jetzt staatliche Hilfen in Milliardenhöhe vergeben werden, dann sollte das für die Unternehmen auch ein Anlass sein, sich zum Beispiel für bessere Vereinbarkeit einzusetzen, für eine geschlechtergerechte Bezahlung, für mehr Frauen in Führungspositionen. Wir müssen die Krise zu einem Gewinn für die Gleichstellung von Frauen und Männern machen.

Einerseits werden die Frauen, die überwiegend in den systemrelevanten, aber leider schlecht bezahlten Berufen arbeiten - im Supermarkt, als Pflegekraft, als Erzieherin - jetzt hoch gelobt. Aber wenn es zum Beispiel um mehr Frauen in Führungspositionen geht, dann winkt unser Koalitionspartner ab. Das Wirtschaftsministerium hält es für eine unzumutbare Belastung der Wirtschaft, dass wir den Frauenanteil in den Chefetagen großer Unternehmen per Gesetz steigern wollen. Unser Gesetzentwurf sieht dabei lediglich vor, dass in den großen Vorständen ab vier Leuten eine Frau sitzen soll. Dafür muss übrigens kein Mann gehen, nur die nächste freie Stelle muss mit einer Frau besetzt werden. Schon allein diese Mindestgröße führt bei der Union zu Ablehnung.

Dabei hat eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey gerade wieder bestätigt, dass der wirtschaftliche Erfolg von Firmen steigt, wenn im Leitungsteam Männer und Frauen sitzen. Bei gemischten Leitungsteams ist es um 25 Prozent wahrscheinlicher, dass ein Unternehmen wirtschaftlich besonders erfolgreich ist. Frauen in Führungspositionen zu bringen, ist also keine nervige Nebensache und schon gar keine Belastung, sondern in Wahrheit eine wirtschaftsfördernde Maßnahme.

Kurzum: Eine Diskussion auf der Ebene „Frauen in sozialen Berufen: Ja, gerne - Frauen in Führungspositionen: nein, danke!“ – werden wir nicht mitmachen.

Im Konjunkturpaket der Bundesregierung sind eine Milliarde Euro für den Ausbau von Kitas und Krippen sowie zwei Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsschulen vorgesehen. Welche Bedeutung hat das aus gleichstellungspolitischer Sicht?

Was Eltern brauchen, um Erwerbs- und Familienarbeit nach ihren Vorstellungen aufteilen und leben zu können, ist eine gute, zuverlässige Kinderbetreuung. Deshalb ist es ja so wichtig, dass der Bund noch einmal zusätzliches Geld in die Hand genommen hat, um den Ausbau von Kitas und die Ganztagesbetreuung an Grundschulen noch stärker voranzutreiben - in jedem Fall gut investiertes Geld, auch in gleichstellungspolitischer Hinsicht. Wie gesagt: Ohne eine gute und verlässliche Kindertagesbetreuung funktioniert das Gesamtsystem nicht, und es sind eben meist die Frauen, die dann deshalb beruflich zurückstecken.

Im Bundeskabinett haben wir im Rahmen des Konjunkturpaketes beschlossen, für den Kita-Ausbau zusätzlich eine Milliarde Euro für die Jahre 2020 und 2021 bereitzustellen. Damit können bis zu 90.000 neue Betreuungsplätze in Kitas und der Kindertagespflege geschaffen oder für Umbaumaßnahmen und für Investitionen in neue Hygiene- und Raumkonzept ausgegeben werden. Für die Ganztagsbetreuung in den Grundschulklassen 1 bis 4 stellt der Bund fast vier Milliarden Euro Investitionskosten zur Verfügung, plus eine Beteiligung an den Betriebskosten. Ich finde, das ist ein gutes Angebot an die Länder, um den vereinbarten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2025 umzusetzen. So ist es ja im Koalitionsvertrag verankert und es gibt auf Bundesebene in SPD und Union den festen Willen, das hinzubekommen. Wir müssen uns auf diesen Weg machen, der Bedarf steigt, ein großer Teil der Eltern wünscht sich das und es trägt wesentlich zur Chancengerechtigkeit von Kindern bei.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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