Inland

Gelegenheit macht Diebe

von Nathalie Sopacua · 9. November 2010
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Neue Belege für den exzessiven Datenmissbrauch in den Betrieben hat jetzt das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung erbracht. Danach berichtete fast jeder siebte befragte Betriebsrat von Verstößen gegen geltende Datenschutz-Vorschriften innerhalb der letzten vier Jahre.

Dass die tatsächliche Quote höher liegen dürfte, steht für den WSI-Forscher Martin Behrens außer Frage. Er geht davon aus, dass die Arbeitnehmer-Vertreter nicht zwingend von jedem Verstoß erführen beziehungsweise entsprechende Vorfälle als datenschutzrelevant erkennten. Noch dazu seien kleinere Betriebe ohne Arbeitnehmer-Vertretung nicht in die Analyse eingeflossen.

Doch auch in kleinen Betrieben sind die Daten der Beschäftigten nicht sakrosankt. Probleme mit dem Beschäftigten-Datenschutz gibt es in Betrieben jeder Größe, egal ob mit 20 oder 2.000 Beschäftigten. Doch besonders eklatant ist der Datenmissbrauch in Großbetrieben: jeder vierte von ihnen geht nicht ordnungsgemäß mit den Daten seiner ArbeitnehmerInnen um. Behrens vermutet, dass hier die Versuchung, gegen Schutzvorschriften zu verstoßen, größer ist als bei kleinen Unternehmen. "Getreu der Devise 'Gelegenheit macht Diebe' können immer dann, wenn im vermehrten Maße (digitalisierte) Datenbestände erhoben und erfasst werden, überhaupt Datenschutzvorschriften gebrochen werden", erklärt der WSI-Experte.

Die Belegschaft im Visier
Kommt es zu Problemen mit dem Datenschutz, dann ist fast immer (in 94,1% der Fälle) die Belegschaft betroffen, in rund 38 Prozent (auch oder ausschließlich) der Betriebsrat. Bei Betrachtung der Fälle, in denen die Belegschaft betroffen war, zeigt sich, dass in der Mehrzahl (35%) einzelne Personen in ihren Rechten beeinträchtigt worden waren, gefolgt von kleineren Gruppen von Beschäftigten (27%) und von einzelnen Abteilungen (18%). In einem Fünftel der Fälle war die gesamte Belegschaft betroffen.

Die Datenschutzprobleme in den Betrieben wertet Behrens vor allem als Symptom für schlechte Unternehmensführung. Es falle auf, dass die Missachtung von Datenschutzvorschriften häufig mit anderen Problemen der betrieblichen Sozialordnung einhergehe. "Immer wenn Betriebsräte angeben, dass ihre Mitwirkungsrechte durch das Management behindert, Tarifstandards unterlaufen werden und das Betriebsklima schlechter geworden ist, steigt die Wahrscheinlichkeit der Probleme mit dem Datenschutz." Daran sei deutlich zu sehen, so der WSI-Forscher, "welch große Bedeutung im Zweifel auch außerbetrieblich durchsetzbaren, transparenten Regelungen des Datenschutzes zukommt".

Schwarz-gelber Entwurf ungenügend
Da die Verletzung von Datenschutzvorschriften offenbar vermehrt im Kontext allgemeiner betrieblicher Konflikte auftritt, erscheint dem WSI-Experten eine unabhängige Instanz zur Durchsetzung von Datenschutzvorschriften unerlässlich. Umso kritischer bewertet Behrens den von der schwarz-gelben Regierung vorgelegten Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz. Hier werde mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert und den Arbeitgebern in den Bereichen der Korruptionsbekämpfung und "Compliance" weitgehende Definitionsspielräume eingeräumt.

Für die Analyse hat das Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) im Auftrag des WSI 1.984 Betriebsräten telefonisch befragt. Berücksichtigt wurden dabei nur Betriebe der privaten Wirtschaft mit mindestens 20 Beschäftigten.

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