Inland

Gefahr der Stigmatisierung auf dem zweiten Arbeitsmarkt

von Tobias Buchmann · 7. April 2010
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Zunächst war da Außenminister Guido Westerwelle, der mit der Forderung, Hartz-IV-Empfänger sollten zum Schneeschippen verpflichtet werden, für Aufregung sorgte. Wer sich weigere, dem sollten die zustehenden Mittel gekürzt werden.

Kaum war der Rummel über die postulierte Arbeitspflicht etwas abgeebbt, da sorgte Hannelore Kraft für neue Schlagzeilen. Ihre Vorschläge zielten jedoch in eine gänzlich andere Richtung. So geht es ihr darum Angebote für Menschen zu schaffen, die gerne freiwillig im sozialen Bereich tätig werden wollen, und die dafür einen kleinen Aufschlag auf ihren ALG2-Satz erhalten sollen.

Im Grunde handelt es sich um eine gute Idee, wenn Menschen die Möglichkeit erhalten, einer auch in ihren Augen sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Anlass zum Nachdenken sollte uns aber der Nachsatz geben: "Wir müssen endlich ehrlich sein. Rund ein Viertel unserer Langzeitarbeitslosen wird nie mehr einen regulären Job finden."

Diese Überzeugung muss auch Pate für den in Berlin seit 2007 eingerichteten öffentlichen Beschäftigungssektor gestanden haben. Schafft es unser Wirtschaftssystem wirklich nicht mehr für alle Menschen einen adäquaten Arbeitsplatz zu schaffen?

Wer entscheidet, ob jemand die Chance auf einen normalen Arbeitsplatz hat?

Offensichtlich besteht in der Politik rechts wie links in der Tat die Ansicht, dass es Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die nicht in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden können - weil sie nicht wollen oder nicht können.

Der Unterschied zwischen den bürgerlichen Parteien und der SPD besteht offensichtlich darin, dass die einen die Pflicht zur Arbeit fordern während die anderen ein Recht auf Arbeit anstreben. Die SPD fordert also, dass allen Menschen die Teilhabe am öffentlichen Leben über freiwillige Arbeit oder über einen staatlich organisierten Beschäftigungssektor ermöglicht wird. Ist dies noch vereinbar mit dem ehemals hehren Ziel, "gute Arbeit" für alle zu schaffen? Zweifel sind in jedem Falle angebracht.

Bevor ein Mensch eine Tätigkeit in einem wie auch immer gestalteten öffentlich eingerichteten Beschäftigungssektor aufnehmen kann, muss jemand die Entscheidung treffen, dass dieser Mensch keine Aussicht mehr hat, einen "normalen" Arbeitsplatz zu finden, dass er de facto also einen Arbeitsplatz zweiter Klasse annehmen soll.

Wer soll jedoch dazu befugt werden Menschen bürokratisch abzustempeln und mit dem Label zu versehen: "Genügt den Ansprüchen unserer heutigen Gesellschaftssystems nicht mehr."? Verstärkt wird dieses Problem zweifellos durch die Stigmatisierung der im öffentlichen Beschäftigungssektor arbeitenden Personen. Und nur in den seltensten Fällen wird jemand aus dem geförderten Beschäftigungsverhältnis wieder in ein normales Unternehmen wechseln können. Schließlich signalisiert diese Art der geförderten Beschäftigung ja gerade, dass die Person offenbar nicht für die Privatwirtschaft geeignet ist.

Außerdem ist in aller Munde, dass Arbeit heute nicht mehr nur dem reinen Broterwerb dient, sondern die Menschen ihre Identität daraus ableiten. Insofern müssen wir davon ausgehen, dass Menschen in öffentlicher Beschäftigung sich weiterhin isoliert und jedenfalls nicht gleichwertig wertgeschätzt fühlen.

Der zweite Arbeitsmarkt schwächt die Gewerkschaften

Hinzu kommt: Um die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu stärken und so höhere Löhne durchsetzen zu können, die wiederum die Nachfrage stimulieren, bedarf es einer Situation, in der die Arbeitskraft ein knappes Gut für die Unternehmen darstellt.

Maßnahmen wie die Einrichtung öffentlicher Beschäftigung signalisieren jedoch, dass es zu viele Arbeitskräfte gibt bzw. dass diese die notwendige Qualifikation für eine reguläre Beschäftigung nicht mitbringen. Dies schwächt eher die Verhandlungsposition und trägt dazu bei, dass beispielsweise Gewerkschaften wie die IG Metall in der Tarifrunde 2010 ohne konkrete Forderungen in die Verhandlungen ziehen müssen. Daneben besteht stets die Gefahr, dass reguläre Arbeit verdrängt wird oder erst gar nicht entsteht, weil beispielsweise Unternehmen, die höhere Löhnen bezahlen, nicht konkurrenzfähig sind.

Nicht der Lebensperspektive berauben

Menschen, die arbeiten wollen, müssen in die Lage versetzt werden auf dem regulären Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden. Was in der Regel die Chance erhöht, ist die Verbesserung ihrer Qualifikation. Entsprechend sollte bei der Weiterqualifikation von Hartz IV Empfänger nicht unnötig gespart werden. Es muss weiterhin gelten "fördern und fordern" statt "abstempeln und alimentieren". Zusätzlich muss natürlich auch die Vermittlung verbessert werden, so dass Langzeitarbeitslosigkeit der Vergangenheit angehört.

Die Politik darf es sich nicht so leicht machen und Menschen in einen parallelen Arbeitsmarkt abschieben. Wenn wir es nicht mehr schaffen, in unserer von Arbeit dominierten Lebenswelt den Menschen eine Perspektive zu bieten, dann sollten wir einmal grundsätzlicher darüber nachdenken, wie wir die Arbeitswelt in Zukunft organisieren wollen. Für Sozialdemokraten sollte es jedenfalls nicht hinnehmbar sein, dass Menschen aufgegeben und ihrer Lebensperspektiven beraubt werden.

Autor*in
Tobias Buchmann

Tobias Buchmann (29) ist Promotionsstudent am Lehrstuhl für Innovationsökonomik an der Universität Hohenheim. Er ist Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und studierte in Stuttgart, Metz und Bonn Wirtschaftswissenschaften sowie European Studies.

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