Inland

Friedrichs Äußerungen schüren Ressentiments

von Vera Rosigkeit · 10. Oktober 2013

Die Klagen des Bundesinnenministers Peter Friedrich über eine mutmaßliche Zuwanderung in deutsche Sozialkassen hält die Europaabgeordnete Birgit Sippel durch eine Studie der EU widerlegt. Doch die Studie alleine reicht nicht. Wichtig ist die Kombination aus klaren politischen Signalen und konkreten Hilfen, sagt sie im Interview.


vorwärts: EU-Justizministerin Viviane Reding hat am Dienstag beim Treffen der EU-Innenminister einen Aktionsplan zur sogenannten Armutswanderung angekündigt. Ist das eine Reaktion auf die Klagen deutscher Politiker, wonach Einwanderer insbesondere aus Rumänien und Bulgarien nur nach Deutschland kommen, um höhere Sozialleistungen zu beziehen, wie Innenminister Friedrich behauptet?

Birgit Sippel: Sowohl der Aktionsplan als auch die von der Kommission in Auftrag gegebene Studie zum tatsächlichen Ausmaß der sogenannten Armutsmigration sind als Antwort der Kommission auf das Schreiben der vier Innenminister aus Deutschland, Österreich, Großbritannien und den Niederlanden und die darauf folgende Debatte in der Presse zu sehen. Friedrichs Äußerungen über einen vermeintlichen Sozialbetrug, den vor allem EU-Bürger aus Osteuropa begehen würden, sind populistisch, inhaltlich nicht korrekt und schüren lediglich Ressentiments.

 Wichtig ist die Kombination aus klaren politischen Signalen und konkreten Hilfen. Die Studie der Kommission, die die sogenannte "Armutsmigration" als Massenphänomen klar widerlegt, kann dabei helfen; sie ist aber natürlich keine konkrete Hilfe für die konkret betroffenen Kommunen.

Wie ist Ihre Einschätzung zum Aktionsplan? Sieht er Maßnahmen vor, die Städte und Gemeinden unterstützen, in denen sich eine große Zahl armer Zuwanderer ansiedelt?

Was den Aktionsplan der Kommissarin Reding betrifft, so kann ein Leitfaden dazu beitragen, nach einheitlichen Kriterien festzulegen, ab wann ein Zuwanderer seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in einem Mitgliedstaat hat. Hierdurch wird sein Recht geklärt, ggf. nicht beitragspflichtige Sozialleitungen zu bekommen.

Es ist eine gute Idee, Bürgermeister aus ganz Europa zu einem gemeinsamen Austausch ihrer Erfahrungen und Praxisbeispiele einzuladen. Wichtig wäre jedoch, dass diese Bürgermeister aus sehr unterschiedlichen Ländern kommen und offen sind für Anregungen. Besonders hilfreich wären neue Partnerschaften zwischen sogenannten Herkunfts- und Zielländern.

Von besonders konkreter Bedeutung ist jedoch, dass der Sozialfonds tatsächlich mit ausreichenden Mitteln ausgestattet wird und für den kommenden Förderzeitraum von 2014-2020 zwanzig Prozent seiner Gelder ausschließlich der sozialen Integration gewidmet sind. Dabei ist die Rolle der Verwaltungsbehörden bei der Umsetzung sehr wichtig. Die Mitgliedstaaten müssen noch mehr voneinander lernen, damit die Mittel auch wirklich dort ankommen, wo sie hingehören. Darauf weist ja auch Frau Reding in ihrem Aktionsplan hin.

Wo stößt der Plan an Grenzen?

Leider können jedoch nicht alle Probleme vor Ort durch europäische Strukturfördermittel gelöst werden. Wie die Studie der Kommission zeigt, ist die sogenannte "Armutszuwanderung" mit Blick auf den gesamten Mitgliedstaat Deutschland ein eher zu vernachlässigendes Phänomen und betrifft weniger als 5 Prozent der Zuwanderer aus anderen Mitgliedstaaten.  

Probleme entstehen dort, wo sich in großer Zahl arme Zuwanderer in ohnehin sozial schwierigen Stadtteilen ansiedeln, wie es in einigen Kommunen wie Duisburg, Dortmund oder Mannheim geschieht. Dort sollte auch der Bund die Kommunen finanziell und in jeder anderen möglichen Weise unterstützen, damit sie die Herausforderungen bewältigen können.


Birgit Sippel ist SPD-Abgeordnete im Europäischen Parlament. Mehr Informationen unter www.birgit-sippel.de

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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