Inland

Flüchtlinge: „Wir brauchen europäische Lösungen“

Der Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein fordert ein europäisches Asylrecht und warnt vor den Kosten stärkerer Grenzkontrollen innerhalb der EU.
von Lars Haferkamp · 29. Februar 2016

Herr Professor Enderlein, immer mehr Politiker fordern, die Grenzen innerhalb der EU stärker zu kontrollieren. Was würde das für die Wirtschaft bedeuten?

Jeder Stau an der Grenze bedeutet Kosten: für den Logistikverkehr, für die Berufspendler und für den Tourismus. Erste Schätzungen rechnen mit Gesamtkosten von 100 Milliarden Euro.

Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut sagt, die Kosten der Grenzsicherung seien „nur ein kleiner Bruchteil der Kosten, die die Flüchtlinge verursachen“.

Flüchtlinge auf Kostenverursacher zu reduzieren, ist beschämend. Und ist es nicht bemerkenswert, wie leichtfertig ein marktliberaler Ökonom, der seit Jahrzehnten freien Welthandel einfordert, nun über die Schließung von Grenzen redet? Das ist Ideologie, keine Ökonomie.

Betroffen von schärferen Kontrollen wäre nicht die gesamte deutsche ­Grenze von 3800 km Länge, sondern nur die 800 km lange bayerisch-­österreichische Grenze. Und auch die  nur in eine Richtung.

Das wäre dennoch ein enormer Aufwand. Und die Grenzpendler wären massiv betroffen. Flüchtlinge wissen, wie man Kontrollen umgeht. Nur ein Zaun könnte Flüchtlinge abhalten. Das will bei uns zu Recht niemand.

Zunächst hieß es, die Flüchtlinge seien „ein Geschenk des Himmels für den Arbeitsmarkt“. Jetzt heißt es, 80 Prozent seien unqualifiziert oder Analphabeten. Wie passt das zusammen?

Niemand sollte die Probleme schönreden, aber niemand sollte alle Flüchtlinge als „nutzlos“ abstempeln. Wir müssen das nötige Geld investieren, um die Menschen zu qualifizieren. Dann werden wir auch viele in den Arbeitsmarkt integrieren können.

Ökonomen sagen, da die meisten Flüchtlinge nur gering qualifizierte Tätigkeiten ausüben können, kosten sie den Staat mehr, als er am Ende an Steuern und Abgaben zurückerhalten wird.

Die Rechnung ist absurd. Was ist denn das für ein Menschenbild? Was unterscheidet einen jungen Syrer heute von einem jungem Deutschen? Der eine spricht deutsch und ist hier groß geworden, der andere nicht.

Diesen Unterschied finden Sie nicht entscheidend?

Nein. Bei guter Ausbildung integrieren wir beide erfolgreich in den deutschen Arbeitsmarkt.

Migrationsexperten fürchten, dass durch die Aufnahme schwer integrierbarer Migranten die generelle Bereitschaft der Gesellschaft sinkt, Migranten – auch gut qualifizierte – aufzunehmen.

Das wäre ein großer Fehler. Deutschland muss ein Einwanderungsland werden. Wir brauchen dafür ein Gesetz, das vor allem Hochqualifizierte zu uns bringt. Aber es werden auch immer schwer integrierbare Menschen zu uns kommen.

Die Bundesregierung setzt auf eine ­europäische Lösung der Flüchtlingskrise. Wie könnte die aussehen?

Wir brauchen ein einheitliches europäisches Asylrecht: Die Wahrscheinlichkeit, als Flüchtling anerkannt zu werden, variiert zwischen vier Prozent in Griechenland und 80 Prozent in Schweden. Deutschland liegt bei 40 Prozent. Deshalb wollen alle Flüchtlinge nach Schweden oder nach Deutschland. Das kann so nicht bleiben.

Wie soll man sich einigen?

Der europäische Flüchtlingsstatus sollte mit einer Arbeitserlaubnis in einem bestimmten EU-Land verbunden sein. Ich bin überrascht, dass man in der Politik europäische Lösungen viel weniger diskutiert als die Schließung von Grenzen.

Deutschland scheint in der EU in der Flüchtlingsfrage isoliert, selbst unser engster Partner Frankreich geht den deutschen Weg nicht mit. Österreich und Schweden auch nicht mehr.

Ich wundere mich sehr über die europäischen Partner, die das Flüchtlingsproblem nicht als ein europäisches behandeln, sondern als ein nationales. Es geht nicht, dass Deutschland über eine Million Flüchtlinge aufnimmt und Frankreich nur 30.000.

Wenn das Europa der offenen ­Grenzen die Aufnahme von mehr als einer ­Million Flüchtlingen jährlich ­bedeutet, wird dann die Zustimmung für Europa bei uns weiter sinken?

Ich glaube nicht, dass eine geschlossene Grenze diese Zuwanderung komplett verhindert hätte. Sie hätte das Problem nur nach Griechenland oder in andere Länder verlagert. Die Flüchtlinge wären dort ein noch größeres Problem als bei uns. Europa darf an der Flüchtlingskrise nicht scheitern.

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare