Inland

Flüchtlinge in Passau: Welche Aufgaben nun auf die Stadt warten

Endlich Zeit zum Durchatmen – aber nur kurz. Denn seit nicht mehr wie an Spitzentagen im Frühjahr und Sommer bis zu 8.000 Menschen täglich über die österreichische Grenze ins niederbayerische Passau kommen, steht für Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) insbesondere eine Frage im Mittelpunkt: die nach der Zeit danach.
von Michael Kniess · 21. Dezember 2015

„Die vor uns liegende Aufgabe, die Geflüchteten als Kommunen und Städte gemeinsam in den Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie in das Bildungssystem zu integrieren, ist ein steiniger Weg“, sagt Passaus sozialdemokratischer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (54). Eine Illusion darüber, dass dies schnell und problemlos gelinge, dürfe man sich keinesfalls machen.

Derweil ist es Passau, das jene Herausforderungen bislang mit Bravour gemeistert hat – eine Stadt mit gerade einmal 50.000 Einwohnern, die in den vergangenen Monaten einer der bundesweiten Brennpunkte der Flüchtlingskrise war. Chaos, Ausnahmezustände, Bürgerproteste, Pegida-Demonstrationen – all das gab es dort selbst dann nicht, als im Sommer wöchentlich an die 40.000 Menschen in die Stadt strömten.

Funktionierende Zusammenarbeit

„Das hat sicherlich schon etwas damit zu tun, wie man solche Themen intoniert“, sagt Jürgen Dupper. „Wenn sich Verantwortliche vor Ort auf den Marktplatz stellen und schreien, dass man eine solche Herausforderung hierzulande niemals bewältigen kann, darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen den Eindruck gewinnen, dass die Situation tatsächlich alle völlig überfordert.“ In Passau funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, Polizei und den ehrenamtlichen Helfern dagegen reibungslos.

„Uns als Stadt war es von Anfang an wichtig, dass wir unseren Beitrag leisten, um die Situation nach allen Regeln der humanitären Erfordernisse, aber auch der öffentlichen Ordnung, gut bewältigen zu können“, sagt er. An die 50 Mitarbeiter der Stadtverwaltung waren zwischenzeitlich nur für diesen Zweck abgestellt: zur Betreuung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, in den beiden Erstaufnahmeeinrichtungen, welche die Stadt Passau selbst betreut oder als städtische Ansprechpartner an den zahlreichen „Hotspots“.

Die Verschnaufpause nutzen

Dass er selbst beinahe täglich vor Ort ist, um sich einen Eindruck zu verschaffen, ist für Jürgen Dupper nicht der Rede wert. Vielmehr verwundert es ihn, dass andere genau dies nicht tun. Die bayerische Landesregierung habe sich bis heute kein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Ganz im Gegensatz zur Bundesregierung, die mit dem SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und dem Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung Peter Altmaier (CDU) bereits prominent in Passau vertreten war.

Auch in Berlin hat Jürgen Dupper seine Anliegen bereits vorgebracht. „Wir dürfen als Land in der Phase der Integration nicht viele Fehler machen“, sagt er. „Ich glaube, dass die einschlägigen Ministerien, wie das Arbeits- oder das Familienministerium, bereits auf einem guten Weg sind. Vor allem gilt es, den Finanzminister davon zu überzeugen, dass es auch ausreichend Ressourcen finanzieller Art braucht.“ Die derzeitige Verschnaufpause nutzt Jürgen Dupper, um auf kommunaler Ebene alles Erforderliche in die Wege zu leiten.

Von Gespräch zu Gespräch

Im Hinterkopf hat er dabei immer eine bange Frage: „Hoffentlich lassen sich die Wünsche und Hoffnungen der Menschen, die zu uns kommen, auch wirklich erfüllen. Wir haben alle zusammen eine wirklich große, gemeinsame Aufgabe. Wenn uns das nicht hinreichend gelingt, wird es Frustrationen auf beiden Seiten geben.“ Sein Terminkalender und die Überstundenstatistik der Mitarbeiter in der Stadtverwaltung sind deshalb nach wie vor gut gefüllt. „Als Stadt dürfen wir ohnehin auch unsere anderen Aufgaben keinesfalls vernachlässigen.“ Daneben eilt Jürgen Dupper von Gespräch zu Gespräch. Jobcenter und Arbeitsagentur, Kindergärten, Berufsschulen und Wohnbau – sie alle nimmt er mit ins Boot, wenn es darum geht, Antworten auf die zur Zeit drängenden Fragen zu finden.

Nicht die Verschiebung des Asylpakets oder die Frage, ob Geldleistungen durch Sachleistungen ersetzt werden sollen, sind für den Praktiker in diesen Tagen das Entscheidende. „Für uns ist die drängendste Frage, wie viele von den Menschen, die zu uns kommen, dauerhaft bleiben werden und wann sie auf die Kommunen und Städte verteilt werden – darauf brauchen wir schnell eine Antwort, um uns gut darauf vorbereiten zu können.“

Offenes W-LAN für alle

Dupper stellt fest: „Wir werden als Kommunen sehr viele individuelle Lösungen brauchen und vorwiegend niedrigschwellige Angebote machen müssen.“ Neben dem Sprachunterricht gelte es insbesondere, genügend Wohnraum und ausreichend Kindergartenplätze zu schaffen sowie die geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne die hiesige Bevölkerung zu vernachlässigen. Ganz praktische Dinge hat Jürgen Dupper bereits umgesetzt.

Am Hauptbahnhof seiner Stadt hat der Oberbürgermeister ein offenes W-LAN installieren lassen. Die ehrenamtlichen Helfer benötigen es, um sich über die sozialen Netzwerke zu verbinden, für die Flüchtlinge ist es meist die einzige Verbindung in die schmerzlich vermisste Heimat. „Es ist doch völlig normal, wenn ein junger Flüchtling nichts sehnlicher möchte, als nach seiner Ankunft Kontakt zu seiner Familie zu Hause herzustellen“, sagt er. Dass davon auch im kommenden Jahr wieder unzählige Menschen auf ihrer Suche nach einem besseren Leben Gebrauch machen werden, davon ist Jürgen Dupper überzeugt.

„Ich glaube nicht, dass an Weihnachten der Frieden nach Syrien kommt, auch wenn ich es den Menschen von ganzem Herzen wünschen würde“, sagt er. „Wir sind nicht so fahrlässig, uns jetzt zurückzulehnen. Vielmehr bereiten wir uns darauf vor, dass wir im nächsten Sommer mit derselben Situation konfrontiert werden, wie in diesem Jahr.“ Die Zeit zum Durchatmen kommt da gerade recht. Derzeit sind es „nur“ rund 2.000 Flüchtlinge, deren gefährliche und beschwerliche Reise aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak in der Donaustadt ein vorläufiges Ende findet.

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