Inland

Feuer und Friedenstaube

von Thomas Hörber · 12. November 2008
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Der historische Hintergrund
Was die Situation besonders aus deutscher Perspektive interessant macht, sind der politische Gezeitenwechsel zur Regierung Kohl und die Nachwirkungen des NATO-Doppelbeschlusses - noch aus der Zeit der Regierung Schmidt, die 1982 durch das erste konstruktive Misstrauensvotum in der deutschen Geschichte fiel. 1983 war Helmut Kohl noch nicht der Staatsmann, der er später als Kanzler der Wiedervereinigung wurde. Der Widerstand gegen Nachrüstung wurde in der deutschen Friedensbewegung klar zum Ausdruck gebracht. Dennoch stimmte die konservative Mehrheit im Bundestag für die Stationierung von Pershing II Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden. Man kann nun als Argument anführen, dass dies nur eine konsequente Verstrickung der Logik war, die Helmut Schmidt in der Architektur des NATO-Doppelbeschlusses verankert hatte, d. h. Nachrüstung falls die Sowjetunion ihre eigenen SS 20 Mittelstreckenraketen nicht abzieht.
Nicht dass die bundesdeutsche Position bei den Genfer Gesprächen irgendeine Rolle gespielt hätte, aber Friedl deutete an, dass eine SPD-geführten Bundesregierung unter Helmut Schmidt wohl eine konstruktivere Rolle um die Verhandlungen in Genf gespielt hätte und die Amerikaner wohl stärker in die Verhandlungspflicht genommen hätte. So scheiterten die Verhandlungen in Genf zwischen Russen und Amerikanern; die Regierung Kohl als Apportierhund von Ronald Reagan stimmte brav der Stationierung von Pershing II Raketen zu. Konservative Kreise sahen Freiheit und Demokratie verteidigt und die Springer Presse lieferte die CIA Propaganda an das deutsche Volk. Die beißende Ironie einer derartigen Darstellung der politische Nach-Schmidt Welt zeigt, wie schwer der Schlag des Falls Schmidt für gestandene SPDler war. Und Schmidt's eigene Vorhersage, dass dies die SPD vielleicht für ein Jahrzehnt in die Opposition zwingen würde, war noch unterschätzt. Soviel zum historischen Hintergrund.

Die Story
Der Roman ist in mehrere gut lesbare und kurze Kapitel unterteilt. Jedes wird von ein bis zwei Hauptakteuren dominiert: Das sind zum Beispiel die zwei egozentrischen und opportunistischen US-Delegationsmitglieder. Der eine möchte Senator werden, mit Hilfe von Rüstungsgeldern in seinem Wahlkampffond. Der andere strebt das Gouverneursamt an, entweder durch eine Diffamierungskampagne von Edward Kennedy oder auf dem Rücken der immer stärker werdenden Freeze-Friedensbewegung in den USA.
Die beiden sowjetischen Delegationsmitglieder dagegen sind sympathischer und naiver dargestellt. Die denken zwar auch an einen Leninorden, aber doch für erfolgreich abgeschlossene Abrüstungsverhandlungen.
Ein gewisser Anti-Amerikanismus des Autors ist nicht zu verneinen und spiegelt ein weiteres Mal eine latente Grundtendenz in der SPD wider. Diese Tendenz drückt sich bei früheren SPD-Führungspolitikern in einer gesunden Skepsis gegenüber der letzten verbleibenden Supermacht USA aus - siehe Gerhard Schröders Ablehnung des Irakkriegs oder Helmut Schmidts letzte Bücher zu Europa. Diese Skepsis ist ein schmaler Pfad, weil sie in den falschen Ecken zu stumpfem Anti-Amerikanismus führt. Den lässt Friedel in einem seiner letzten Kapitel dann in der Schlägerei zwischen Raimund - dem offensichtlich autobiografischen deutschen UN-Mitarbeiter - und dem zukünftigen US-Senator aus dem Delegationsteam zu Tage treten. Dieser latente Anis-Amerikanismus spiegelt aber auch einfach eine bessere Kenntnis der Interessenlage der Amerikaner wider, die es Friedl ermöglicht, die Russen sympathischer, darzustellen ohne dass dies besonders fundiert wäre.
Auch Klischees werden manchmal von Friedl überbedient, wie z. B. die Lehrerrolle, die eben dieser Raimund bei seinem amerikanischen Praktikanten Jeff einnimmt. Raimund als der alte Hase im diplomatischen Genf, Jeff als das junge idealistische Greenhorn und dann sogar die Selbstkritik Raimunds an seinen eignen Antworten für Jeff zeigen einen Schwachpunkt des Romans: die etwas hölzernen Beziehungen zwischen den Akteuren, die sich zu oft in Kneipengeschichten verlieren.
Stärker und glaubhaft wird Friedls Erzählung in seiner Kritik des Lebens der Diplomaten. Zweifellos aus persönlicher Erfahrung schilderte er, dass sie leicht die Wurzeln verlieren und im Alter, in ihrer Wahlheimat niemanden mehr kennen. Dies klingt wie eine Warnung und Friedl hat wohl selbst den Absprung zurück nach Hamburg geschafft.
Insgesamt ist dies ein kurzweiliger Roman, der für eine weite Leserschaft die persönlichen Erfahrungen Friedls als UN-Mitarbeiter zugänglich macht und einige Einblicke in seine Weltsicht gewährt.

Reinhold Friedl: Genfer Schlendertage - Diplomatisches Spiel mit dem Feuer und der Friedenstaube, Schardt Verlag, Oldenburg, 2008, ISBN 978-3-89841-380-0, SS. 188

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