Inland

Feminismus in Deutschland: „Man sollte Frauen stärker vor Sexismus schützen“

Elisa Gutsche ist feministische Aktivistin, verantwortlich für das Barcamp Frauen und als Referentin der Friedrich-Ebert-Stiftung für Geschlechter- und Familienpolitik zuständig. Sie fordert ein größeres politisches Engagement, um das Armutsrisiko von Frauen zu senken.
von Jonas Jordan · 29. Januar 2019
Elisa Gutsche ist feministische Aktivistin.
Elisa Gutsche ist feministische Aktivistin.

1919 wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt. Wie steht es 100 Jahre später um den Feminismus in Deutschland?

Elisa Gutsche: Besser als vor 100 Jahren. Es sind mehr Frauen im Parlament vertreten als damals. Frauen dürfen eigene Konten haben und ohne Einverständnis ihres Ehemanns einen Beruf ausüben. 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe für strafbar erklärt. Es gab einen gesellschaftlichen Wandel. Männer engagieren sich mehr in Erziehung, Pflege und Hausarbeit. Aber:  Es ist immer noch ein langer Weg, wenn man sich anschaut, dass es vor allem Frauen sind, die in Deutschland von struktureller Armut betroffen sind, wie wenig Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Verwaltung ausüben oder dass der Anteil von Frauen im Bundestag seit der letzten Wahl wieder gesunken ist. Zudem haben alleinerziehende Frauen in diesem Land noch immer das höchste Armutsrisiko. Neue Akteure wie die AfD wollen die Uhren zurückdrehen, was die Rechte von Frauen angeht.

Im vergangenen Jahr wurde heftig über die Abschaffung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch debattiert. Die Große Koalition hat kürzlich einen Kompromissvorschlag präsentiert, der beinhaltet, dass der Paragraf erhalten bleibt, jedoch inhaltlich ergänzt wird. Wie beurteilen Sie diese Lösung?

Ich verstehe die Zwänge der SPD in der Großen Koalition, dennoch ist es für mich kein guter Kompromiss Es ist eine grundlegende Frage, wie viel Selbstbestimmung Frauen zugestanden wird. Ich verstehe Frauen als mündige Bürgerinnen, die sich aus freien Stücken informieren können sollten, welche medizinischen Möglichkeiten es gibt, ihre reproduktiven Rechte auszuüben. Die ganze Debatte ist stark aus dem rechten und konservativen Lager dominiert. Das merkt man sprachlich daran, dass die Politiker und Medien die ganze Zeit von einem „Werbeverbot“ sprechen, als ob es darum ginge, dass wild gewordene Feministinnen Berlin mit Abtreibungswerbung zukleistern wollten. Dabei ist es ein Verbot für Frauen, sich über ihre Rechte und medizinischen Möglichkeiten zu informieren. Es ist ein Maulkorb für Ärztinnen und führt dazu, dass Ärztinnen kriminalisiert werden. Ich verstehe nicht, was den Staat das überhaupt angeht. Das ist eine höchst private Entscheidung.

Die Paragrafen 219a und 218, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, sind Hebel, die von Rechtspopulisten und radikalen Lebensschützern genutzt werden, unsere liberale Demokratie auszuhöhlen.

Sie haben den Paragrafen 218 angesprochen. Vor wenigen Wochen gab es auf dem Juso-Bundeskongress einen Beschluss dazu. Anschließend sahen sich die Jusos einer Hasswelle ausgesetzt. Warum ist das so ein „Lieblingsthema“ der Rechten?

Rechtspopulistische Parteien wie die AfD sind von dem Gedanken geleitet, Zuwanderung zu begrenzen und das kulturell Eigene zu betonen. Im Kern geht es dabei um eine völkische Ideologie: Das kulturell homogene Staatsvolk soll erhalten werden. Um das umzusetzen, wird die Familienpolitik zum zentralen Spielfeld für Rechtspopulisten – insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. „Deutsche Frauen“ sollen mehr Kinder bekommen – blonde, blauäugige Kinder. Der Zugang zu Sexualkundeunterricht, Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch hindert da nur.

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Nehmen diese gesellschaftlichen Rückwärtstendenzen in der Gleichstellungspolitik global betrachtet zu?

Ja, absolut. In Österreich, Polen oder Ungarn sieht man, dass NGOs ihre Förderungen verlieren, die sich zum Thema Gewalt gegen Frauen engagieren. Es wird Familien-Mainstreaming statt Gender Mainstreaming propagiert. Das bedeutet, dass seitens linientreuer „Frauen- und Familienberatungsstellen“ dahingehend beraten wird, dass Familien um jeden Preis beisammen bleiben sollen. Auch wenn der Papa die Mama ständig verprügelt.

An welchen positiven Beispielen könnte sich Deutschland im Hinblick auf eine progressive Gleichstellungspolitik orientieren?

Bei aller Kritik am amerikanischen Gesundheitssystem, aber viele Krankenversicherungen in den USA bezahlen Verhütungsmittel. Das wäre für ärmere Frauen in Deutschland ganz wichtig. Spricht man Hartz-IV-Empfängern das Recht ab, geschützten Sex zu haben? In Schweden ist es selbstverständlich, dass sich Männer genauso wie Frauen in der Erziehung der Kinder und der Hausarbeit engagieren. In Kanada hat Justin Trudeau ein Kabinett, das total vielfältig und divers ist. In Deutschland ist es zumindest so, dass die SPD-Ministerinnen und Minister in der Bundesregierung zu 50 Prozent männlich und weiblich sind. Menschen mit Migrationshintergrund oder auch Ostdeutsche sind dagegen unterrepräsentiert. Da ist noch viel zu tun, um die notwendige Sensibilität und Repräsentanz zu schaffen.

In zehn Jahren feiern wir 110 Jahre Frauenwahlrecht. Was sollte sich bis dahin gleichstellungspolitisch getan haben?

Ich würde mir wünschen, dass die Politik ärmere Frauen wieder stärker in den Fokus genommen, dass sie Alleinerziehenden geholfen und viel mehr Programme aufgelegt hat, um Frauen und Familien – vor allem aber Kinder – aus der Armut zu holen. Man sollte Frauen viel stärker vor Sexismus und sexualisierter Gewalt schützen. Ich wünsche mir, dass sich in zehn Jahren Männer dahingehend geändert haben, dass sie viel sensibler und reflektierter durch ihren Alltag gehen und dazu beitragen, die Welt zu einer lebenswerteren für uns alle zu machen.   

Die Äußerungen in diesem Interview spiegeln die persönliche Meinung der Interviewpartnerin wieder.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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