Sonntagmorgen, 11.00 Uhr, Staatsoper Berlin. Volles Haus. Und das, obwohl keine leichte Inszenierung auf dem Spielplan steht, sondern richtig "harte Kost". "Die Welt im Umbruch - wo steht
Europa?" lautet der Titel der Diskussion zur Europawahl 2009. Die Allianz Kulturstiftung hat die "Crème de la Crème" der europäischen Spitzendiplomatie nach Berlin geladen.
SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier tritt ans Mikrofon. Er scheint ein wenig erstaunt über die voll besetzen Ränge zu sein. Er lächelt. "Sie haben meine Bewunderung. 11 Uhr am Sonntagmorgen und
dazu noch so ein sprödes Thema."
Die Zuhörer werden in den folgenden zwei Stunden belohnt. Steinmeier und seine Kollegen diskutieren temporeich und amüsant: Ob es um die Finanzkrise, das Verhältnis zum neuen amerikanischen
Präsidenten und den Konflikt im Gaza-Gebiet geht.
Steinmeier: "Sturm, der in die Welt gefahren ist"
Der deutsche Vizekanzler und Kanzlerkandidat beschwört einen "Sturm, der in die Welt gefahren" sei. Finanzkrise, Klimawandel, Terrorismus, Ressourcenknappheit und zerfallende Staatengebilde
fordern die EU heraus, so der Außenminister. "Dem kann kein Land allein begegnen." Die Wirtschaft sei der politischen Gestaltung davon gelaufen. In den kommenden Monaten werde es darum gehen, "
diese Gestaltungsmöglichkeiten wieder zurück zu gewinnen". Die Europäische Union könne ihre Legitimationsdimension erweitern, wenn es gelinge, die richtigen Antworten auf die Fragen der
Finanzkrise zu finden. "Ich will nicht vernebeln, dass bei vielen Menschen die EU das Herz nicht höher schlagen lässt." Trotzdem bewertet Steinmeier den Status quo optimistisch. Er wisse, dass im
Alltag nicht alles vollkommen sei. "Aber mit gerechtem Blick auf das, was gelingt, ist der Ausgang vorzeigbar." Nach einem Telefonat mit der neuen US-Außenministerin Hillary Clinton sei er "noch
sicherer, dass die Weichen auch für eine neue transatlantische Zusammenarbeit gestellt sind".
Schwarzenberg:" Haben gespielt wie ein besoffener Husarenmeister"
Karel Schwarzenberg plädiert für einen offeneren Umgang auch mit Staaten, die arm seien und Probleme hätten. Der Prager EU-Vorsitz stehe unter dem Motto "Europa ohne Barrieren", verkündet
der derzeitige EU-Ratspräsident. Die Europäer müssten ihre "Zögerlichkeit, auch `Unruhezäune in die EU zu integrieren" überwinden. Protektionistische Töne und klassische machtpolitische
Instrumente führten in Zeiten der Krise auf den falschen Weg.
Für die verantwortlichen Akteure findet der 71-jährige tschechische Außenminister deutliche Worte: "Die haben gespielt wie ein Husarenmeister, nachdem er eine Flasche Champagner gesoffen
hat." Schwarzenberg fordert in der Auseinandersetzung mit der Krise nicht in erster Linie eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte, sondern vielmehr auch deren Bewertung nach moralischen
Gesichtspunkten. Viele Bänker hätten die bis dato eingehaltenen ungeschriebenen Gesetze ihrer Branche rücksichtslos gebrochen.
Frank-Walter Steinmeier stimmt dieser Analyse seines Kollegen nicht zu. Es sei "zwar attraktiv, alles zu einer moralischen Krise zu erklären", die Verantwortung von Politik gehe aber
weiter. Diese sei verpflichtet, Schutzmechanismen zu entwickeln.
Le Maire: "Stabilität mit einem geeinten Europa oder gar nicht"
Ähnlich wie auch Karel Schwarzenberg sieht Bruno Le Maire in der Krise im Gaza-Streifen "die derzeit schwierigste Situation, mit der wir uns auseinandersetzen müssen." Sein außenpolitischer
Anspruch an die EU - "Stabilität in der Welt" schaffen. Dies sei nur "mit einem geeinten Europa zu schaffen - oder gar nicht", mahnt der Franzose. Die Frage nach einer "one-man-show" seines
Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, könne man im Rückblick auf die französische Ratspräsidentschaft im besten Fall als "several-men-show" bezeichnen. Sarkozy habe viel Kompromissfähigkeit gezeigt.
Le Maire wünscht sich für die Europäer, dass sie "ihren Platz in der Geschichte wiederfinden". Auch Frank-Walter Steinmeier plädiert für mehr europäisches Selbstbewusstsein. "Europa ist
keine Großmacht. Aber ich rate uns auch, uns nicht kleiner zu machen, als wir tatsächlich sind."
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