Wie wird die Energiewende zum Erfolgsmodell? Darüber diskutierten Vertreter aus Politik und Wirtschaft bei einer Fachtagung der IG Metall im Rahmen der Hannover Messe. Dabei wurde schnell klar: Die Wege sind da, oft fehlt jedoch der politische Wille.
Martin Refle hatte schon 2008 die Idee, mit Erneuerbaren Energien Geld zu verdienen. Allein wollte es der Betriebsrat im VW-Werk dann aber doch nicht machen. So gründete Refle vor fünf Jahren mit Kollegen eine Belegschaftsgenossenschaft. 230 Mitarbeiter setzten insgesamt 480 000 Euro für den Bau einer Fotovoltaikanlage auf dem Dach der Werkshalle 1B ein. „Wir haben schon dicke Bretter bohren müssen“, berichtet Refle bei einer Fachtagung der IG Metall im Rahmen der Hannover Messe über die Verhandlungen mit Volkswagen. Doch weil VW am Standort Emden mit der „Blue Factory“ bereits verschiedene umweltfreundlich Energietechniken zum Einsatz bringt, hatte man schließlich Erfolg.
Die Vorteile einer Belegschaftsgenossenschaft liegen auf der Hand: Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, eine verbesserte Mitbestimmungskultur und nicht zuletzt eine attraktive Rendite von drei bis fünf Prozent für die Beteiligten. Die Energiewende macht vor dem einzelnen Werkstor nicht Halt. „Ein nachhaltiges Umsteuern hin zu einer ökologischen Industriegesellschaft wirft für Gewerkschaften und auch für die IG Metall komplexe Fragestellungen auf“, stellte Hartmut Meine, IG-Metall Bezirksleiter für Niedersachsen, fest. Dies dürfe nicht zu Lasten der Beschäftigungssicherung gehen. Außerdem brauche saubere Energie auch saubere Arbeitsplätze, also Tarifverträge und eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer.
Industriepolitische Bedeutung der Energiewende
Klar ist für Martin Refle wie Hartmut Meine: Der begonnene Transformationsprozess im Energiesektor ist alternativlos, er muss stattfinden trotz sich abzeichnender Probleme. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies betonte denn auch die industriepolitische Bedeutung des Mammutprojekts. „Wie erfolgreich steht Deutschland mit und nicht statt der Energiewende da?“, müsse man fragen, meinte der Landespolitiker. Richtig angepackt könne die ökologische Stromtransformation zum Beispiel für die Bundesländer im Norden gerade im Offshore-Bereich auch international große Standortvorteile bringen.
Für solche Vorhaben sei aber die Strompreisdebatte der vergangenen Wochen ein großer Rückschlag. „Die Diskussion der letzten Wochen hat für einen erheblichen Bruch gesorgt“, stellte Lies fest. Sie erzeuge Verunsicherung und mögliche Millionenschäden. Pläne würden auf Eis gelegt, Investoren zögen sich zurück. In keinem Verhältnis dazu stehe die tatsächliche finanzielle Mehrbelastung der Bürger. Deshalb ist es auch für die IG-Metall ganz klar, dass bei der Bundesregierung „hinter der geheuchelten Sorge um sozial-schwache Haushalte“ das Ansinnen steht, „die Energiewende auszubremsen“. Ganz zu schweigen davon, dass mittel- und langfristig durch Strom und Wärme aus Erneuerbaren Energien Geld gespart wird, weil keine Brennstoffkosten anfallen.
Die Frage der Preisermittlung
Auf das komplizierte Verhältnis aus fallenden Strombörsen- und steigenden Endverbraucherpreisen kam Patrick Graichen vom Think Tank „Agora Energiewende“ zu sprechen. Seine zwölf Thesen zur Energiewende kreisten u.a. um eine in Fachkreisen derzeit besonders heiß diskutierte Frage: Nach welchem Prinzip werden in Zukunft die Preise auf dem Strommarkt ermittelt? Orientierungspunkt sind derzeit die Brennstoffkosten für Kohle, Uran, Öl und Gas. Wind und Sonne aber gibt es gratis. Deshalb sinkt insgesamt der Börsenpreis. Für Investitionen in neue Kraftwerke – vor allem auf flexibler Gasbasis – bleibt nicht genug Geld übrig. Gleichzeitig steigt die EEG-Umlage, die sich aus dem Unterschied zwischen garantierter Einspeisevergütung für die Ökostromproduzenten und dem Börsenpreis berechnet. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation, die dringend einer tatsächlichen Lösung bedarf.
„Wie organisieren wir den Markt, um den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben?“ fragte deshalb auch Dietmar Schütz, Präsident des Bundesverbandes der Erneuerbaren Energien. Die Förderinstrumente für Erneuerbare Energien und neue Rahmenbedingungen eines zukünftigen Marktmodells müssten zusammen gedacht werden. Es könne nicht darum gehen, Strom aus Erneuerbaren Energien in einen Markt einzuspeisen, der nicht auf sie zugeschnitten sei. Wie Patrick Graichen verwies auch Schütz darauf, dass die Energiewende mit einem Mix aus flexibilisierter Stromnachfrage, flexibel abrufbarem Angebot und Energieeffizienz rechnen muss. Olaf Lies erinnerte zudem an die notwendige und immer noch unterschätze Rolle intelligenter Netze. „Wir müssen Energie neu denken“, lautet sein Appell.
Entscheidend dabei sind die Akteure. Die Herausforderung bei der Transformation des Stromsystems ist häufig keine technische, sondern eine politische. Solange Streit zwischen den Ministerien auf Bundes- und Landesebene herrscht, solange keine eindeutig treibende Kraft existiert und stattdessen Verunsicherung erzeugt wird, leidet die Energiewende. Darüber waren sich alle Diskutanten einig. Das Beispiel vom VW-Werk Emden zeigt jedoch auch den Beitrag, den Betriebsräte und Arbeitnehmer leisten können: Druck von unten erzeugen, indem man die Energiewende selbst in die Hand nimmt. Das nötige Knowhow dazu kann man demnächst in einem Handbuch nachlesen, das der Emdener Betriebsrat zusammen mit der Hans-Böckler-Stiftung erstellt hat.
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