Inland

Empört Euch!

von Frank Bertsch · 3. November 2011
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Die nationalen Gesellschaften Europas durchleben einen Sturm des Wandels. Der Aufruf Hessels erreicht uns inmitten der Krise. So wie Franzosen sich auf die Werte und das politische Vermächtnis des Resistance zu besinnen vermögen, haben wir Deutsche uns heute erneut auf die Anläufe zur Demokratie in der Weimarer Republik, nach dem 2. Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland und nach der Wiedervereinigung im Osten unseres Landes zu besinnen. Der demokratische Weg in Deutschland verbindet sich eng mit dem ausgleichenden Sozialstaat und seinem Netz der sozialen Sicherung.

Soziale Sicherheit bildet die Grundlage, auf der Menschen in der Lage sind, sich Veränderungen zu stellen. Wer den Sozialstaat und die soziale Sicherheit infrage stellt, - und dies geschieht in den Jahren der Arbeitslosigkeit und angesichts der Staatsverschuldung immer öfter - ,legt mutwillig die Axt an die Wurzeln der Demokratie. Wir rufen die jungen Generationen um ihrer eigenen Zukunft willen dazu auf, sich energisch in die Politik einzubringen, sich in der Zivilgesellschaft einzumischen und in Unternehmen dem Konsens gesellschaftlicher Ziele - wie der Mitbestimmung der Arbeitnehmer, dem fairen Interessenausgleich mit Verbrauchern und dem nachhaltigen Einsatz der Ressourcen - Geltung zu verschaffen.

Die Sicherung der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" (Art. 18 GG) im "demokratischen und sozialen Bundesstaat" (Art. 20 GG) hängt heute mehr denn je auch von der Handlungsfähigkeit des Städte und Landkreise, der Fähigkeit der kommunalen Selbstverwaltungen zu eigenständigen Problemlösungen ab. Die Kapazitäten der Selbstverwaltung können heute vielfach den Herausforderungen nicht mehr genügen.

Repräsentative Demokratie verteidigen!

In Großstädten entwickeln sich sowohl Sozialräume wie kommunale Zivilgesellschaften auseinander. Es entstehen neue soziale Unterschichten. Die Zuordnung der staatlichen Aufgabenwahrnehmung nach dem Subsidiaritätsprinzip muss daher grundlegend überdacht und reformiert werden. Es gilt, die kommunalen Selbstverwaltungen rechtlich, organisatorisch und finanziell - etwa über eine andere Aufteilung des Steueraufkommens und eine breitere Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer - auf ein zeitgemäßes Niveau zu heben.


Die Deutschen sind gut beraten, die repräsentative Demokratie zu verteidigen und die Stellung ihrer gewählten Parlamente gegenüber den Exekutiven zu stärken. Dies schließt eine Ergänzung um Komponenten des Basisdemokratie keineswegs aus. Volksbegehren und Volksentscheide sollten Chancen der demokratischen Mitwirkung und Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe erweitern. Sie sollten nicht zu Vorteilen wählerstarker Schichten bzw. zu Nachteilen wählerschwacher Schichten führen, zu einer Privilegierung auf der einen und einer Ausgrenzung auf der anderen Seite. Volksentscheide dürfen auch nicht das Haushaltsrecht der Parlamente aushebeln.

Staat und Wirtschaft haben noch nicht hinreichend verstanden, dass eine selbstbewusste Zivilgesellschaft entsteht, die mit zunehmender Ungeduld auf die Selbstbezogenheit von Behörden und Unternehmen reagiert. Von den Fähigkeiten der Zivilgesellschaft hängt im hohen Maße die Bewältigung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbruchs ab. Bürgerinnen und Bürger verlangen von staatlichen Organen bei Entscheidungen und deren Umsetzung, die ihre Lebensverhältnisse verändern, tatsächlich Mitwirkung und Respekt.

Vertrauen in die Marktwirtschaft ist erschüttert

Private Haushalte und Familien werden als Wirtschaftssubjekte zunehmend marginalisiert, durch einseitig angebotsorientierte Marktauffassungen ebenso wie durch zögernden staatlichen Verbraucherschutz. Die wirtschaftliche Rolle der privaten Haushalte und Familien wird in der Marktwirtschaft bei weitem unterschätzt. Die enge Bindung von sozialer Marktwirtschaft und Demokratie droht sich aufzulösen. Das marktwirtschaftliche Versprechen, Arbeitsplätze zu schaffen und den Wohlstand des Volkes zu sichern, ist erschüttert.

Haushalte und Familien erleben die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung häufig als eine Belastung ihrer privaten Lebensführung und eine Schwächung ihrer sozialen Teilhabe. In unteren und mittleren gesellschaftlichen Schichten geht Zukunftsvertrauen verloren. Viele Unternehmensführungen haben noch nicht verstanden, dass sich die marktwirtschaftliche Ordnung und mit ihr auch die Unternehmensziele weiter zuentwickeln und Interessen des Gemeinwohls aufzunehmen haben.

Verbraucherschutz, verstanden als ein rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer und gesundheitlicher Schutz der Verbraucher, stützt sich auf das Rechtsstaats- und Sozialstaatskonzept der Demokratie. Der Schutz einer selbstbestimmten privaten Lebensführung, die Abwehr von Risiken und die Förderung von Chancen, verpflichtet nicht nur die staatliche Politik, sondern auch die Unternehmen. Die Politik lässt aber Marktungleichgewichte zu Lasten der Haushalte und Familien vielfach zu.

Ungleichheit erschüttert die Demokratie

Die Wohlfahrt eines Volkes ist von einer gerechten Verteilung des Wohlstandes unter seinen sozialen Schichten nicht zu trennen. Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland nimmt der Abstand zwischen Arm und Reich, die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung in den Schichten der privaten Haushalte und Familien, seit langem zu. Die Ungleichheit löst das Gewebe der Wohlstandsgesellschaft auf - und damit auch den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Ungleichheit der Chancen erschüttert die Demokratie. Diese Fehlentwicklung wird von Eliten der Wirtschaft und der Politik tabuisiert. Die Politik lässt eine beispiellose Vermögenskonzentration zu. Die reale Entwicklung der Masseneinkommen verläuft langfristig unbefriedigend. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit Niedrigeinkommen breiten sich. Sie bilden besonders das Problem der jungen Generation. Später entsteht Altersarmut. Die Politik sieht sich in Deutschland nicht in der Lage, flächendeckend faire Mindestlöhne durchzusetzen. Wirtschaftliche Armut und Bildungsarmut verletzen die Würde des Menschen und gefährden die Demokratie. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland sind instabil. Für viele junge Frauen und Männer sind die beruflichen Chancen unbefriedigend. Ihre Zukunftsperspektiven erweisen sich als unkalkulierbar. Ihr sozialer Aufstieg erscheint ungewiss.

Unser Ruf geht an die jungen Generationen: Lasst Euch das nicht gefallen! Mischt Euch ein, engagiert Euch! Geht wählen und lasst Euch wählen! Und ändert überholte und ungerechte Lebensverhältnisse Eures Volkes!

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