Eine Region zwischen Strukturwandel und Aufbruch
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So einfach wie bei Olga Lysytska gelingt der Strukturwandel im Ruhrgebiet dann leider doch nicht. Die beeindruckenden Bilder der Sandmalerin werden am Freitag Abend auf eine riesige Leinwand im Lichthof der Berufsschule in Bottrop projiziert. In rascher Abfolge zeigt die Ukrainerin die Geschichte des Steinkohle-Bergbaus im Revier auf, um letztlich ein Bild zu kreieren, auf dem eine idyllische Landschaft mit Windrädern, Schmetterlingen, eine Sonne und Blumen zu sehen ist.
Sandmalerei ist eine vergängliche Kunst. Sie lebt vom Wandel. Und um den Wandel einer ganzen Region geht es auch an diesem Tag in Bottrop. Die SPD in Nordrhein-Westfalen hatte eingeladen, um gemeinam mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz zum Thema "Ruhrgebiet – Tradition neu denken" zu diskutieren. Der Zeitpunkt hätte kaum besser gewählt werden können. Denn fast zeitgleich wird an diesem Tag auf Deutschlands letztem aktiven Steinkohlebergwerk der Regelbetrieb beendet. Nach 155 Jahren ist auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop Schicht im Schacht.
Längst nicht alle Probleme gelöst
Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sich das Gesicht des Ruhrgebiets stark verändert. Innovative Unternehmen haben sich angesiedelt, es findet ein ökologischer Wandel statt, Kunst- und Kulturveranstaltungen strahlen weit über die Landesgrenze hinaus. Die Menschen sind stolz auf das Erreichte. Es ist so etwas wie ein Aufbruch spürbar. "Wir können Wandel", erklärt der der Vorsitzende der NRWSPD, Sebastian Hartmann. Aber er weiß auch: Der Strukturwandel im Ruhrgebiet ist noch lange nicht abgeschlossen, längst sind nicht alle Probleme gelöst. Das wird an diesem Abend vor allem in den Beiträgen der beiden sozialdemokratischen Oberbürgermeister Frank Baranowski (Gelsenkirchen) und Bernd Tischler (Bottrop) deutlich.
Es sind mehrere Problemfelder, die Baranowski, der zugleich Sprecher der Ruhr-SPD ist, und sein Kollege aus Bottrop ansprechen. Deren Bewältigung ist aus ihrer Sicht nur mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes zu leisten. Die hohen Soziallasten seien von vielen Kommunen – gerade im Revier – nicht länger zu stemmen. In Gelsenkirchen, so Baranowski, seien seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts 70.000 Arbeitsplätze weggefallen. Das habe dazu geführt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit, und damit auch der Anteil der in Armut lebenden Menschen, vergleichsweise hoch sei. Es könne aber nicht sein, dass die Städte für die dadurch entstehenden Sozialausgaben aufkommen müssten.
Sanierung von Bergbauflächen nötig
Bernd Tischler erhofft sich Hilfe vom Bundesfinanzminister bei der Entwicklung moderner Gewerbegebiete. Die bisherigen Bergbauflächen müssten zunächst saniert und aufbereitet werden, um sie dann vermarkten zu können. Investoren kämen aber nur, wenn es bei Mobilität und Digitalisierung beste Voraussetzungen gebe, sagt Bernd Tischler. Viele bestehende Brücken, Straßen und Tunnel seien vor Jahrzehnten mit Bundesmitteln gebaut worden, ergänzt Frank Baranowski. Sie müssten dringend saniert werden. Auch dies sei eine Gemeinschaftsaufgabe. Auf Dauer würden die vielen Sonderprogramme des Bundes zur Unterstützung der Kommunen nicht helfen. "Sonderprogramme", so Baranowski, "sind der beste Beleg dafür, dass das gesamte System unterfinanziert ist." Und für diese Feststellung erntet er stürmischen Beifall der rund 500 Gäste.
Konzentriert und nachdenklich hat Olaf Scholz die Ausführungen auf dem Podium verfolgt. Und er lässt durchaus erkennen, dass er sich den Anliegen der Menschen im Ruhrgebiet nicht verschließen will. Man könne "nicht achselzuckend wegschauen, wo es Probleme gibt", sagt er. Strukturwandel bedeute für ihn, "dass ein ganzes Land zusammenhalten muss." Strukturpolitik könne nirgendwo auf der Welt "von einem alleine" bewältigt werden. Unterstützung sei notwendig – aber sie dürfe keinesfalls nach dem Gießkannenprinzip organisiert werden. Das sieht auch Thomas Kutschaty so. Der Chef der SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf mahnte an, dass das Ruhrgebiet mit seinen spezifischen Herausforderungen mehr Hilfe benötige als andere Regionen in Deutschland. Man müsse endlich "Ungleiches ungleich behandeln".
Wirtschaftskraft, Arbeitsmarkt und Lebensqualität
Zielgerichtete Hilfe möchte auch Olaf Scholz. Der Finanzminister verweist auf eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland. Dort soll über die - gerade in vielen Städten des Reviers zu beobachtende - Überschuldung von Kommunen, Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten, kaputte Straßen, leere Geschäftshäuser, sozialen Wohnungsbau und gute Bildung gesprochen werden. Bis Herbst 2020 werden Ergebnisse vorliegen.
Letztlich, das wird auch durch die zahlreichen Fragen aus dem Publikum deutlich, geht es an diesem Abend im Herzen des Ruhrgebiets vor allem um faire Chancen auf echte Teilhabe. "Wir brauchen eine große Investitionsanstrengung des Bundes. Das muss in Deutschland statfinden", sagt Olaf Scholz. Das ist eine starke Aussage, die viele Gäste mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und damit ein solcher Satz nicht verloren geht, hat ihn Sebastian Hartmann auf seinem Zettel notiert. Die Zusage des Finanzminsters soll nicht so flüchtig, so schemenhaft sein, wie die Sandmalerei.
war Parlamentsredakteur für verschiedene Tageszeitungen sowie Sprecher der SPD und der NRWSPD. Für den vorwärts berichtet er vor allem aus Nordrhein-Westfalen.