Ein Netzwerk der Behörden gegen ein Netzwerk der Terroristen?
Karlsruhe. Mit einer Fülle von verfassungsrechtlichen Fragen haben sich am Dienstag die Karlsruher Richter im Rahmen der Verhandlung über die Antiterrordatei (ATD) auseinander gesetzt.
Die bereits 2006 in Gesetzesform gegossene und seitdem gültige Rechtsnorm erlaubt einen weitreichenden Zugriff auf persönliche Daten der Bürger, die zumeist davon gar nichts erfahren und deshalb kaum Rechtsschutz beantragen können.
Nicht nur in elementare Grundrechte, wie die informationelle Selbstbestimmung, das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf effektiven Rechtsschutz, könnte die ATD möglicherweise unzulässig eingreifen, erklärte Gerichtsvizepräsident und Vorsitzender des ersten Senats Ferdinand Kirchhof in seiner einführenden Stellungnahme.
Auch die Frage, ob die ATD gegen das Trennungsgebot von Nachrichtendiensten und Polizei verstößt, weil letztere so an Informationen gelangen, die sie gar nicht erheben dürfen, sei zu klären. Auch der Kreis der in die ATD aufgenommenen Personen berge verfassungsrechtliche Probleme. Dürfen zum Beispiel Kontaktpersonen, die mit Terroristen in Verbindung stehen, von der Datei erfasst werden, auch wenn sie terroristische Anschläge ablehnen und mit diesen nur in losem Kontakt stehen?
Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich beantwortete die Frage mit einem eindeutigen Ja. Die Gewährleistung von Sicherheit benötige schließlich sichere und schnelle Informationen. „Die Bedrohung durch islamistische Terroristen ist in Deutschland schon wegen unseres Engagements in Afghanistan akut“, bemerkte der Minister und fragte den Senat: „Ist die Sicherheit der Bürger denn nicht auch ein Grundrecht“?
Der Beschwerdeführer, ein ehemaliger vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, sieht die Probleme etwas differenzierter und verweist zu recht auf die Gefahr für die Meinungsfreiheit. Unter Umständen könne man schon durch eine Meinungsäußerung in die ATD gelangen und es sei bereits ausreichend, Kritik an der Verschleppung von deutschen Bürgern durch die CIA zu üben, zum Beispiel in einem Internet-Blog, um sich hierin wiederzufinden. „Unter Umständen kann sich jeder von uns in dieser Datei wiederfinden“, machte Maximilian Suermann als Bevollmächtigter deutlich.
Sodann war es an Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes, die obersten Verfassungshüter von der ATD als den entscheidenden Baustein gegen den islamischen Terrorismus zu überzeugen. Er hob in seinen überakribischen Ausführungen vor allem auch die Bedeutung der erweiterten Grunddaten hervor, die sogar den Besitz von Fahr- und Flugerlaubnissen oder eine ehemalige oder zeitweise Anwesenheit an Orten, an denen sich auch Terroristen schon mal aufgehalten haben, umfassen. „Nur so kann der mögliche Täterkreis präzise eingekreist werden“, behauptete Ziercke. Schließlich agiere der internationale Terrorismus global.
Auf einen nicht unwichtigen Aspekt in diesem Verfahren verwies Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, den der Senat ebenfalls um eine Stellungnahme bat. Die ATD sei ein sehr attraktives Angriffsziel, um an die darin gespeicherten Daten zu gelangen. Dies bestand so nicht, als alle Daten noch in verschiedenen Dateien untergebracht waren, bemerkte die Sprecherin des CCC. „Leider ist es um die IT-Security schlecht bestellt“, weiß die Sprecherin des CCC.
Ein Eigentor schoss die Bundesregierung offensichtlich auch mit der Bestellung von Heinrich Amadeus Wolf als Prozessbevollmächtigten. Dieser hatte mit einem weiteren Autor in der Zeitschrift „Juristische Arbeitsblätter“ im Jahre 2008 einen Aufsatz über verfassungsrechtliche Fragen der gemeinsamen Antiterrordatei von Polizei und Nachrichtendiensten verfasst. Die beiden Autoren gelangen hier zu dem Fazit, dass „gegen die gegenwärtige Ausgestaltung (des ATDG – D.F.) bestehen erhebliche Einwände bestehen.
Nach der hier vertretenen Auffassung geht der Gesetzgeber zu leichtfertig mit den personenbezogenen Daten der Betroffenen um. Teilweise zentrale Regelungen des Gesetzes, wie etwa die Definition des Eilfalles, erfordern wegen Verstößen gegen die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsätze der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit eine Überarbeitung durch den Gesetzgeber bzw. Korrektur durch das BverfG“.
Nach dem Verlauf dieser Verhandlung zu urteilen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der erste Senat sich in seinem Urteil, das frühestens in einigen Monaten erwartet wird, dieser Auffassung anschließen wird, nicht sehr gering.