Ein Jahr Pegida: #IchBinDresden – oder besser nicht?
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„Die Zeit, in der Pegida das Feld in Dresden kampflos überlassen wurde, ist vorbei.“ Das schrieb kürzlich die „taz" anlässlich des ersten Jahrestages der Demonstrationen der sogenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ am vergangenen Montag. Wegen dieses traurigen Jubiläums fühlen sich jetzt allerlei Akteure der Dresdner Zivilgesellschaft aufgerufen, wieder tätig zu werden. Die sozialen Netzwerke sind voll mit Veranstaltungseinladungen. Neben dem Hashtag #HerzStattHetzte, dem Titel der geplanten Gegendemo, an der laut Facebook mehr als 8000 Menschen teilnehmen wollen, kursiert der Hashtag #IchBinDresden. Er vereint Botschaften aus der Bevölkerung Dresdens, die sich klar von Pegida abgrenzen. Die Aktion geht auf die Initiative „Bündnis für ein offenes Dresden“ zurück, die sich nach eigenen Worten für „Weltoffenheit und Toleranz“ einsetzt.
Pegida in Dresden: Wer ist hier eigentlich die gefühlte Mehrheit?
Weltoffenheit und Toleranz sind als Begriffe bewusst vage gewählt. Derartige Initiativen haben den Anspruch, eine möglichst große „schweigende Mehrheit“ zu aktivieren. Sie gehen davon aus, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung gegen „Pegida“ eintritt und sich nur aus Bequemlichkeit zurückhält. Die Vergangenheit scheint ihnen Recht zu geben. Nachdem die Montagsdemonstrationen zur „Rettung des Abendlandes“ gegen Ende des vergangenen Jahres immer wieder neue Rekordteilnehmerzahlen erreichten, hatte sich zunächst ein ebenso starker Gegenprotest formiert. Dieser jedoch war zu Beginn dieses Jahres wieder eingeschlafen. Und „Pegida“ ist immer noch da.
Dennoch: Das Verhältnis vieler Dresdner zu ihrer Stadt hat sich verändert. Das schreibe ich als jemand, der selbst seit über drei Jahren in Dresden lebt. Wenn man in der Straßenbahn zur Uni sitzt, sich über die Montags-„Spaziergänger“ mokiert und böse Blicke von „normalen“, aber offenbar besorgten Bürgern kassiert. Wenn man sich mit Kommilitonen unterhält, die ihr Masterstudium in einer anderen Stadt mit „Pegida“ begründen. Wenn man für „Dresden“ als Antwort auf die Frage nach der Heimatstadt nicht mehr verträumte Urlaubserinnerungen, sondern angewiderte Blicke erntet. Dann weiß man, dass das Problem tiefer sitzt.
„Sächsische Verhältnisse“
Unvergessen: Der letzte Montag vor Weihnachten des vergangenen Jahres. Damals mussten die Organisatoren der Gegendemonstration ihren Protest kurzfristig absagen. Die Studierenden waren ausgeflogen und damit auch das Gros der Gegenbewegung. Eine Stadt von über einer halben Million Einwohner war nicht in der Lage, den selbsternannten „Patrioten“ etwas entgegenzusetzen. Solche Zustände lassen sich treffend unter dem mittlerweile geflügelten Begriff der „Sächsischen Verhältnisse“ zusammenfassen. Der beschreibt ein Bundesland, das seit der Wiedervereinigung von der CDU regiert wird, die hierzulande etwa so konservative Positionen vertritt wie sonst nur die Schwesterpartei im benachbarten Bayern. Er beschreibt ein Bundesland, in dem Alltagsrassismus an der Tagesordnung ist. Doch darüber wird nicht gesprochen, die bürgerliche Mitte behauptet, dass sie selbst keine Ressentiments kennt. Frei nach dem Motto: Vorurteile haben nur die anderen!
Wer oder was will Dresden sein?
Nur 2,5 Prozent der sächsischen Bevölkerung waren 2013 Ausländer. Viele sind nur zeitweise hier, verlassen den Freistaat nach ein paar Jahren wieder. Wer kann es ihnen verdenken angesichts der mal unterschwelligen, mal offensichtlichen Diskriminierung, die sie erfahren. Die Gewaltexzesse von Heidenau und Freital sind nur die Spitze eines Eisbergs. #IchBinDresden ist seit mehreren Tagen sehr beliebt bei Twitter. Es stellt sich die Frage: Will ich das sein?
forscht über Männlickeiten im Fußball und spricht darüber. Er twittert unter @Dehnungse.