Inland

„Ein großes wirtschaftliches Debakel“

von Kai Doering · 4. Dezember 2011

Die Globalisierung nutzt allein den Konzernen. Davon ist Walden Bello überzeugt. Im Interview mit vorwärts.de sagt der Globalisierungskritiker, warum die Euro-Krise diese Entwicklung verschärft – und wie die Länder des Südens darauf reagieren.

vorwärts.de: Die Euro-Krise hält Europa in Atem. Zwei Regierungschefs sind zurückgetreten, Zehntausende demonstrieren. Wie werden diese Vorgänge im Süden wahrgenommen?
 
Walden Bello: Die Ereignisse in Europa und in den Vereinigten Staaten werden im Süden als Indikatoren für die langfristige Stagnation in den Zentren des globalen Kapitalismus gesehen. Für uns bedeutet das, dass sie für eine sehr lange Zeit nicht die Quelle weltweiter Nachfrage sein werden. Die Regierungen des Südens überdenken daher im Moment ihre auf die europäischen und US-amerikanischen Märkte zielende exportorientierte Strategie. Sie richten sich neu auf die heimischen Märkte und die dynamischen Volkswirtschaften im Süden – insbesondere China, Brasilien und Indien – aus. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika streben engere Handelbeziehungen auch untereinander an, um so die abnehmende Nachfrage aus Europa und den USA auszugleichen. Ob sie damit Erfolg haben werden, bleibt abzuwarten. Nach wie vor stützen starke Interessen die Ausrichtung nach Europa und auf die USA. Gleichzeitig bestehen große Widerstände gegen eine auf den heimischen Markt gerichtete Strategie.
 
Warum steht die internationale Staatengemeinschaft den Vorgängen so hilflos gegenüber?
 
Die internationale Gemeinschaft fühlt sich so hilflos, weil die Entscheidung über Erhalt oder Abschaffung des Euro ausschließlich in der Eurozone getroffen werden kann. Selbst Großbritannien hat nur sehr geringe Einflussmöglichkeiten, da es kein Mitglied der Eurozone ist.
 
Staatsanleihen sind zu einer unsicheren Geldanlage geworden. Anleger investieren zunehmend auch in Lebensmittel. Was hat das für Auswirkungen?
 
Nun, wenn Nahrungsmittel in den Fokus von intensiveren Spekulation rücken – und sie werden bereits zunehmend gegenüber anderen Vermögenswerten bevorzugt –, dann können wir ein Wiederaufleben der Nahrungsmittelkrise von 2008 erwarten, die zum Teil durch spekulative Aktivitäten auf Rohstoffe ausgelöst wurde.
 
Vor zweieinhalb Jahren haben Sie gesagt: „Wir sind erst am Beginn eines weltweiten Absturzes.“ Haben wir den Tiefpunkt inzwischen erreicht?
 
Nein, das haben wir nicht. Wir waren immer skeptisch gegenüber jenen, die sagten, wir befänden uns in einer V-förmigen Rezession, weil die Krise mehr als eine einfache zyklische Krise ist. Sie stellt sich mehr und mehr als etwas heraus, das aus der Krise der Überproduktion oder der Überkapazitäten resultiert. Einfache Keynesianische Maßnahmen werden nicht ausreichen, damit die Volkswirtschaften wieder genesen. Strategien zum Schulden- und Defizitabbau werden die Rezession nur noch vertiefen.
 
Herr Bello, Sie sind überzeugt, dass die Globalisierung die nationalen Volkswirtschaften ruiniert. Was ist die Konsequenz?
 
Die Konsequenzen sind drastisch, inklusive Deindustrialisierung und massiver Arbeitslosigkeit. Die USA zum Beispiel haben ihre Produktionsbasis an China verloren, wie auch die Philippinen und viele andere Entwicklungsländer. Es wird nicht einfach werden, diesen Sektor wieder aufzubauen. Freier Handel und frei fließendes Kapital haben der Welt nicht mehr Effizienz gebracht. Beides verursachte in vielen Ländern ein großes wirtschaftliches Debakel. Alles war darauf ausgerichtet für die Verbraucher eine „bessere Welt“ zu schaffen, in der sie von günstigen Produkten profitieren würden. Aber diese Verbraucher haben nun ihre Arbeit verloren oder sind massiv verschuldet. Die einzigen Gewinner sind die Finanzeliten und transnationalen Konzerne.
 
In den vergangenen Wochen hat die Occupy-Bewegung eine weltweite Demonstrationswelle gegen die Banken ins Rollen gebracht. Was trauen Sie den Protesten zu?
 
Die Bewegung ist ein Sammelpunkt gegen den Kapitalismus. Aber sie muss mehr als bloßen Widerstand anbieten – und zwar eine Vision und ein Programm für eine Reorganisation der Wirtschaft, die den Bedürfnissen der Menschen dient.
 
Am Samstag werden Sie bei der Internationalen Konferenz der SPD über „fortschrittliche Politik für das 21. Jahrhundert“ diskutieren. Wie sieht die Ihrer Meinung nach aus?
 
Progressive Politik ist eine Politik die mehr Demokratie, mehr Gleichheit, mehr Solidarität und mehr Kontrolle der Menschen über ihr eigenes Leben fördert. Sozialdemokraten  müssen die politischen Vorstellungen der Massen zurückgewinnen, durch ein auf grundlegende Umgestaltung gerichtetes Programm, das zu richtiger sozialer Demokratie führt.

Walden Bello ist Professor für Soziologie an der Universität der Philippinen und Kongressabgeordneter des Inselstaats.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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