Obwohl es die Wahl zum Europaparlament in Straßburg war, wollten die 375 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union vor allem die nationalen Regierungen bewerten. Groß Britannien, die Niederlande und Österreich sind die besten Beispiele für abgestrafte Nationalregierungen. Aber auch in Portugal, Spanien, Bulgarien, Malta, Slowenien, Zypern, Schweden, Ungarn, Irland, Estland und Griechenland mussten die Regierungsparteien Abstürze verbuchen.
Regierungen werden abgestraft
Die britische Labour-Partei von Premierminister Gordon Brown landet womöglich sogar auf einem dritten Platz, hinter den Konservativen und den Europa-Skeptikern. Hauptursache war nicht ihre
Arbeit in Straßburg, sondern der Korruptionsskandal im britischen Parlament, der bereits zu einigen Rücktritten von Ministern der Regierung geführt hatte. Die Zukunft von Premier Brown ist
ungewiss.
In den Niederlanden konnten sich die die Christdemokraten von Regierungschef Jan-Peter Balkenende gerade noch vor den europa-skeptischen Populisten von Geert Wilders retten, der sich vor
allem durch Hasstiraden auf den Islam bekannt gemacht hat. Die niederländischen Sozialdemokraten wurden nur drittstärkste Kraft. Das Thema Migration aber auch die Erweiterung der Europäischen
Union beschäftigen die Niederländer sehr, im Jahr 2005 hatten sie in einem Referendum den Entwurf zu einer europäischen Verfassung abgelehnt.
In Österreich haben die Liste des Europakritikers von Hans-Peter Martin und die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) zu Lasten der Koalition der Sozialdemokraten und der
konservativen Volkspartei deutlich zugelegt. Das einst von Jörg Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreich schaffte den Einzug ins Europaparlament hingegen nicht, es scheiterte an der
Fünf-Prozent-Hürde.
In Ungarn hat die konservative Fraktion einen Erdrutschsieg errungen und viermal mehr Stimmen als die Sozialisten bekommen, die das Land gerade aus der Finanzkrise zu ziehen suchen. An
dritter Stelle liegt die rechtsextremistische Jobbik-Partei, die schätzungsweise auf 15 Prozent kommt.
Die Griechen haben zum ersten Mal der Kommunistischen Partei und der ultrakonservativen LAOS-Partei den Einzug ins Europaparlament ermöglicht. In Malta verlor die konservative Regierung, in
Slowenien setzte sich die konservative Opposition durch. In Schweden wurden die oppositionellen Sozialdemokraten stärkste Kraft. Alles deutet also darauf hin, dass es wirklich mehr um die Arbeit
der Regierungen auf nationaler Ebene ging, als die Beiträge im Europaparlament.
Insgesamt interessierten sich nur noch 43 Prozent der Europäer für seine Zusammensetzung, obwohl die Europäische Union stark angewachsen ist. Mittlerweile zählt sie siebenundzwanzig
Mitgliedsstaaten, genau 736 Parlaments-Sitze waren zu vergeben. Bei der ersten Wahl des Europaparlaments im Jahr 1979 hatten noch 63 Prozent der wahlberechtigten Europäer ihre Stimme abgegeben.
Seither ging die Beteiligung zurück. Im Jahr 1999 beteiligten sich mit 49,8 Prozent erstmals weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten. Nun ein neuer Rekordtief.
Sarkozy und Berlusconi bilden die großen Ausnahmen
In Frankreich konnte die konservative Partei von Staatspräsident Nikolas Sarkozy zulegen. Bei einer Wahlbeteiligung von nur etwa 40 Prozent mussten die Sozialdemokraten eine Niederlage
einstecken, die Grünen kamen auf den dritten Platz.
Der italienische Präsident Silvio Berlusconi konnte ebenfalls seinen Platz verteidigen, obwohl in letzter Zeit zahlreiche Skandale um seine Person als auch seine Regierung an die
Öffentlichkeit gerieten. Die Mitte-Links-Parteien wurden zweistärkste Kraft. In Polen konnte die regierende Bürgerplattform von Donald Tusk ihr Ergebnis fast verdoppeln. Die nationalkonservative
Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit erhielt deutlich weniger Stimmen. Jedoch lag die Wahlbeteiligung bei nur etwa 27,4 Prozent.
Während in der Slowakei die sozialdemokratische Partei von Ministerpräsident Roberto Fico als stärkste Kraft aus der Wahl hervorging, konnten in Belgien die regierenden Christdemokraten
triumphieren. Überraschend konnten in Finnland die ausländerfeindlichen Rechtspopulisten massiv an Stimmen zulegen, in Lettland feierten erstmals die Parteien der russischstämmigen Minderheit
einen Erfolg.
Insgesamt werden die Sozialdemokraten im künftigen Europaparlament bis zu 62 Sitze weniger haben als bisher. "Wir haben sicher darunter zu leiden, als sozialdemokratische Fraktion, dass wir
in einigen Ländern schwere Niederlagen hinnehmen mussten," sagt Martin Schulz,Fraktionsvorsitzender im Europaparlament, "auch aufgrund der innenpolitischen Situation in diesen Staaten. In der
Summe muss man sagen, dass das für uns ein ganz bitterer Abend ist." Angesichts der Finanzkrise und konservativer Regierungen in Europa hatten gerade die Sozialdemokraten die Hoffnung, im
Europaparlament an Gewicht zuzulegen. Nun gilt als klarer Wahlgewinner die konservative Europäische Volkspartei (EVP). Sie bleibt die mit Abstand stärkste Fraktion, auch wenn die britischen
Torries aus der Fraktion austreten und mit den polnischen und tschechischen Konservativen eine eigene Fraktion gründen wollen.
Die politischen Auswirkungen für die Europäische Union sind klar. "Bei der Reform der Finanzmärkte, die ja jetzt ansteht, werden die Christdemokraten etwas vorsichtiger bei der Regulierung
sein als die Sozialisten," sagt Daniel Groß, Direktor des Zentrums für Europäische Studien, "auf dem Gebiet der Justiz- und Innenpolitik, Stichwort Migration, werden die Christodemokraten eine
deutlich andere Position haben als die Sozialisten."
Die nationalistischen Gruppierungen und die Europa-Skeptiker werden insgesamt bis zu 145 Sitze im kommenden Europaparlament haben, auch wenn sie aus zahlreichen kleinen Parteien stammen.
Sie werden für erheblichen politischen Druck sorgen. Insgesamt verfügt das pro-europäische Lager jedoch über ein riesiges Gewicht, dazu zählen neben den Christdemokraten und den Sozialisten auch
die Grünen, die etwas zugelegt und die Liberalen, die europaweit verloren haben. "Die Pro-Europäer müssen immer engagierter sein, als diejenigen, die Europa nicht wollen, die Europa zerstören
wollen oder sich nicht entwickeln lassen wollen," sagt der noch amtierende Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.