"Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall, die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben mit Strenge
einzutreiben..." schrieb schon Johann Gottfried Seume in seinem berühmt gewordenen sozialkritischen Reisebericht "Spaziergang nach Syrakus". Er war am 1. April 1802 nach dreimonatiger
beschwerlicher Wanderung vom sächsischen Grimma aus in der im Südosten Siziliens gelegenen Hafenstadt angekommen.
Wie auch heute das Urteil von Italienern und Touristen über Regierungen ausfallen mag, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Syrakus-Altstadt verfallen ließen, ehe sie sich ihrer Verpflichtung
gegenüber der Geschichte erinnerten. Inzwischen ist die 123.000 Einwohner zählende einstige Metropole des Altertums nicht nur Provinzhauptstadt, sondern auch eines der bedeutendsten
archäologischen Zentren der Welt und damit eine klassische Reisedestination Siziliens.
Tourismusmodelle erproben
Seit einiger Zeit wird im ländlichen Raum der Provinz Syrakus ein neues Tourismusmodell erprobt. 1998 wurde eigens dafür eine öffentlich-private Einrichtung geschaffen, die lokale
Aktionsgruppe G.A.L. Hyblon-Tukles. "Das Gruppo di Azione Locale-Projekt soll in einem Gebiet mit bedeutenden archäologischen Resten alter Städte, Steinbrüchen, Höhlen und Nekropolen sowie
reichen Schätzen an barocker Kunst, die zahlreiche Stadtzentren auszeichnen, Gestalt annehmen.", so Direktor Sebastiano di Mauro. Das noch vor den Griechen von den Hyblon- und Tukles-Völkern
bewohnte Gebiet wird als "Insel auf der Insel" wieder erkennbar. Die Gäste erwartet dabei kein Massentourismus, sie sollen persönliche Gastfreundschaft wie zu alten Zeiten erfahren.
Ein solches Vorhaben ist undenkbar ohne den orientierenden, gestaltenden und finanzierenden Einfluss der Europäischen Union. So hat die EU von ihrem Haushalt von rund 862 Mrd. Euro für den
Zeitraum 2007- 2013 rund 70 Mrd. Euro für das ELER-Programm (Entwicklung des ländlichen Raumes) eingeplant. Diese Mittel werden jährlich auf die Mitgliedsländer verteilt. Verbunden mit der
Auflage, dass Projekte nur mittels Kofinanzierung möglich sind. Die zukunftsorientierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure im ländlichen Raum schrieb auch Leader Plus , das 2007 Leader I
und II hervorging, auf seine Fahne.
Insofern entspricht es EU-Logik, wirtschaftlicher Vernunft und Gemeinschaftssinn, dass die G.A.L.-Gruppe bei ihren umfangreichen Initiativen eng mit staatlichen Stellen, lokalen Behörden,
örtlichen Betrieben, Universitäten und touristischen Institutionen kooperiert. Im vergangenen Jahrzehnt wurden Investitionen in Höhe von etwa 90 Millionen Euro aus kommunalen, provinziellen,
regionalen und nationalen Quellen realisiert. Damit ist ein perspektivreiches Pilotprojekt für die touristische Entwicklung ländlicher Räume nicht nur in der Provinz Siracusa und auf Sizilien,
sondern im gesamten Mittelmeerraum in Gang gesetzt worden. Was hier von allen Beteiligten vorausgesetzt und verlangt wird ist neues Denken - weg von Eigeninteressen.
Projekte umsetzen
Die Projekte sind so unterschiedlich wie es die regionalen Bedingungen erfordern und ermöglichen. Bei Cassaro wird ein im 19. Jahrhundert eingerichteter, nach dem Zweiten Weltkrieg von den
Amerikaner teildemontierter und 1961 stillgelegter Bahnhof wieder aufgebaut. In der Nähe des Ätna gibt es seit dem Jahr 2000 das auf 180 ha Fläche inmitten von drei Vulkanen gelegene dank G.A.L.
entstandene Weingut "Kooperative Patria". Knapp 20 Festangestellte und 30 Saisonarbeitern produzieren 700 Meter über dem Meeresspiegel Rot- und Weißwein. In Caltagirone, der "Keramikhauptstadt"
Siziliens, hilft G.A.L. bei der weltweiten Vermarktung der Töpferkunstprodukte. Der Bauernhof "Borgo degli Ulivi" wartet mit neun komfortabel ausgestatteten Appartements, einem rustikalen
Restaurant und Swimmingpool inmitten von Oliven- und Johannisbrotbäumen auf seine Gäste. In der Stadt Vizieni entsteht aus einem im Besitz eines kirchlichen Ordens befindliches Kloster mit einem
Investvolumen von unter einer Million Euro ein modernes Hotel mit 19 Zimmern und 50 Betten.
Auch "Ruralita` Mediterranea" (Ländliche Gebiete des Mittelmeers) hat die Wiederentdeckung der Zeit zum Gegenstand. Dieses transnationale Projekt für nachhaltigen Tourismus, an dem erstmals
insgesamt 23 G.A.L. beteiligt sind, wird ebenfalls von Leader Plus gefördert. Um Aktionen auf regionaler Ebene zu gestalten, wurde zu Jahresbeginn das Kompetenzzentrum "Agenzia per il
Mediterraneo" (Agentur für die Mittelmeerländer) mit Sitz in Palermo gegründet. Zuständig für die Koordinierung ist die G.A.L. Hyblon Tukles.
Besucherprogramme zusammenstellen
Fremdenverkehr war im Binnenland der Provinz Syrakus bis vor wenigen Jahren kaum vorhanden. Heute registriert die aufstrebende Gegend bereits ca. 15.000 Übernachtungsgäste jährlich. Zu den
markantesten Sehenswürdigkeiten zählen neben historischen Altstädten, wie Noto, Modica, Ferla, Cássaro und Sortino, die Naturreservate von Pantalica und die Cava Grande del Cassibile - eine
imposante Felsschlucht. In dem kürzlich zum Weltkulturerbe erklärte Reservat von Pantalica ist Siziliens beeindruckendste Felsennekropole mit 5.000 Grotten zu besichtigen. Besucherprogramme
können vor Ort zusammengestellt werden.
Goethe war auf seiner ersten Italienreise, die ihn - still und heimlich von Karlsbad aus - "auf der Suche nach dem Altertum" ins Land der deutschen Sehnsucht führte, ein paar Wochen
unterwegs. Im März 1787 betrat er in Palermo die "Königin der Inseln". Für ihn war sie jener wundersame Punkt, "wohin so viele Radien der Weltgeschichte gerichtet sind". Er würde, das steht zu
vermuten, auch heute, in den Zeiten von G.A.L.-Pilotprojekten zu diesem Urteil über Sizilien kommen.
Rudolf Hempel
Informationen:
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10179 Berlin, Märkisches Ufer 28
Tel. (030) 24 31 04 30, Fax (030) 24 31 04 - 11
e-Mail: vdambrogio@itkam.de
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