Die Wende war ein Schritt zur Freiheit
Eine Schar mutiger Frauen und Männer hatte großen Anteil an der Machterosion der Staatspartei SED. Am 7. Oktober 1989 gründeten sie in einem Pfarrhaus in Schwante die Sozialdemokratische Partei in der DDR, die SDP. Sie stellten die Machtfrage, das Regime war herausgefordert. In Leipzig und anderswo gingen die Menschen auf die Straße. Am 9. November fiel die Mauer. 25 Jahre danach kann ganz Deutschland stolz darauf sein, was wir seither erreicht haben.
3. Generation Ost
Ich gehöre zur Generation der heute 30- bis 40jährigen, die man auch 3. Generation Ost nennt. Ich war 15 Jahre alt als die Mauer fiel. Ich habe den Umbruch natürlich gespürt, alle sprachen ja darüber. Wirklich einordnen konnte ich es aber erst später. Für mich war die Wende ein riesiger Schritt zur Freiheit, aber auch ein unfreiwilliger Reifungsschritt, da meine Eltern durch die Umbrüche in Alltag und Arbeitsleben extrem verunsichert waren. Für unsere Mütter und Väter hatte sich die Welt geändert. Genau wie ihre Kinder hatten sie mehr Fragen als Antworten.
Gewaltige Aufbauleistung
In Ostdeutschland ist seither eine gewaltige Aufbauleistung gelungen. Einen maßgeblichen Anteil daran haben die ostdeutschen Frauen. Nach dem Mauerfall wurden sie nicht nur mit einem neuen Wirtschaftssystem konfrontiert, sondern auch mit einem anderen Frauenbild. Sie waren mit berufstätigen Müttern und Vätern aufgewachsen, erlebten Krippe, Kita und Hort als etwas ganz Alltägliches. Aufgrund dieser Sozialisation und der besseren Abdeckung mit Betreuungsangeboten arbeitet heute jede zweite Frau mit Kindern unter 15 Jahren in Vollzeit. Das sind doppelt so viele wie im Westen. Oftmals erleben ostdeutsche Frauen bis heute nicht die starke innere Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie wie Frauen, die im Westen aufgewachsen sind. DerAusspruch Regine Hildebrandts passt auf die anpackende Philosophie vieler dieser Frauen: „Erzählt mir doch nicht, dass es nicht geht“.
Ich habe es als junges Mädchen so empfunden, dass mir mit der Wende alle Türen offenstehen. Aber ich habe auch die tiefgreifenden Sorgen erlebt, die viele hatten. Ich weiß, was Arbeitslosigkeit in der Familie bedeutet oder wenn Freunde abwandern. Ich persönlich finde es toll, zur Hälfte Ostdeutsche zu sein – und mit zunehmendem Alter eine gesamtdeutsche Biographie zu haben. Deshalb trete ich mit ganzer Kraft dafür ein, dass wir Ungleichheiten zwischen Ost und West beseitigen, zum Beispiel bei Löhnen und Renten. Ich bin stolz auf die SPD, dass sie nicht zugelassen hat, dass der Mindestlohn im Osten ein anderer ist als im Westen. Und mir ist es sehr wichtig, dass wir die soziale Einheit Deutschlands vollenden und bis zum Ende des Solidarpaktes ein gesamtdeutsches Rentenrecht schaffen.
Ostdeutsche Erfolgsgeschichte
Die Entwicklung Ostdeutschlands ist eine Erfolgsgeschichte. Daran hat die SPD an vorderster Stelle mitgewirkt und tut es weiter. Die SPD in Ostdeutschland ist eine Partei die Regierungsverantwortung inne hat. Sie stellt drei von sechs Ministerpräsidenten, an anderen Landesregierungen ist sie beteiligt. Mit großer Zuversicht und ungeheurem Engagement haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Ostdeutschland die gewaltigen Herausforderungen angepackt und tun es heute noch.
Ich sehe die historisch gewachsenen Unterschiede heute viel bewusster. Dazu haben viele Begegnungen und Gespräche mit Menschen aus allen Teilen Deutschlands beigetragen.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Ich weiß, dass ich es leichter habe, Beruf und Familie zu vereinbaren, als andere Frauen, weil ich mich nie rechtfertigen musste. Es war einfach selbstverständlich, dass Mann und Frau Kinder haben und arbeiten. Diese Erfahrungen sind Teil meiner Identität und es ist wichtig, dass sie ihren Ausdruck finden: Ich stehe für eine moderne Familienpolitik, die jedem die Wahl lässt, sein Leben zu gestalten, wie er oder sie möchte. Dazu gehört für mich zentral, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mütter und Väter zu ermöglichen – in Gesamtdeutschland.
Janine Schmitz/photothek.net
ist Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Landesvorsitzende der SPD.