Die Nagelbombe, der Fall Yozgat und der Verfassungsschutz
Das Oberlandesgericht München ist im Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte zum Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße vorgedrungen, das der Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben wird. In den vergangenen Wochen wurde bereits eine ganze Reihe Zeugen, Verletzte, Polizeibeamte und Sachverständige vom Gericht vernommen.
Was in der Keupstraße geschah
Am 9. Juni 2004 explodierte in der belebten Kölner Keupstraße um 15.57 Uhr eine Bombe, die auf einem Fahrrad vor einem Friseurgeschäft angebracht war. Vermutlich wurde sie per Funk von Uwe Böhnhardt gezündet, der anschließend mit Uwe Mundlos flüchtete. Überwachungskameras, die mehrfach Böhnhardt am Tatort zeigen, und das Bekennervideo des NSU belegen dies. Böhnhardt und Mundlos, die beide im November 2011 Selbstmord begingen, bildeten laut Anklage mit Zschäpe den Kern des NSU.
Die Fahrradbombe war mit 5,5 Kilogramm Schwarzpulver und 702 zehn Zentimeter langen Zimmermannsnägeln gefüllt. Sie hatte eine Sprengkraft von 1,5 Kilogramm TNT und hätte Menschen töten sollen. Zu diesem Schluss kam ein Sachverständiger des BKA. Er berichtete, dass die Bombe allein schon durch die Druckwelle in einem Umkreis von 2,8 Metern jeden getötet hätte. Wie durch ein Wunder war niemand so nah am Sprengsatz. Nach der Explosion rasten die Nägel mit einer Geschwindigkeit von über 700 Stundenkilometern durch die Keupstraße, berichtete der Experte weiter. Ein Treffer an Kopf oder Rumpf hätte zum Tod führen können. Noch in 250 Meter Entfernung fanden die Ermittler Reste der Bombe. In 150 Meter Entfernung durchschlugen Splitter das Blech von Autos. Nochmals ein Wunder, dass es nur 22 zum Teil schwer Verletzte gab.
Die Explosion verwandelte die belebte Keupstraße in Sekundenschnelle in ein völliges Chaos, berichteten die Zeugen. Überall lagen Verletzte zwischen Splittern, Scherben, Trümmern und verbogenen Zimmermannsnägeln. Häuser und Fahrzeuge waren in großem Umkreis „entglast“. Eine Zeugin berichtete, dass sie die Polizei gerufen und die brennenden Beine eines Mannes gelöscht habe, bevor sie in Ohnmacht gefallen sei. Die Besucher des Friseurgeschäfts, vor dem die Bombe gezündet wurde, berichten von ihren Verletzungen durch Glassplitter, von gerissenen Trommelfellen, von Schmerzen, Schlafstörungen und Ängsten, die sie bis heute verfolgen.
Weshalb die Polizei beim NSU lange im Dunkeln tappte
Wie bei den anderen NSU-Verbrechen tappte die Polizei lange im Dunkeln und vermutete eine Tat im Drogen- oder Schutzgeldmilieu. Die Opfer des Anschlags wurden deshalb zu Verdächtigen und wurden immer wieder verhört. Ein Schicksal, das sie mit den Angehörigen der NSU-Morde verbindet. Auch sie gingen jahrelang durch die Hölle, weil sie von den Ermittlern fälschlich verdächtig wurden. An einen rechtsradikalen Hintergrund hatten die Ermittler lange nicht gedacht. In den nächsten Wochen sollen weitere Zeugen zum Tatkomplex vernommen werden.
Die Beweisaufnahme zu den zehn Morden des NSU und einer Brandstiftung ist zwar nach 21 Monaten weitgehend abgeschlossen. Ein Ende des Prozesses ist jedoch noch nicht abzusehen. Zum einen sind erst etwa zwei Drittel der 600 zu Anfang vorgesehenen Zeugen vernommen worden. Derzeit befasst sich das Gericht neben der Keupstraße noch mit dem Umfeld des NSU-Trios, das das Leben im Untergrund ermöglicht hat. Zum anderen steht noch die Beweisaufnahme zu 15 bewaffneten Raubüberfällen des NSU aus.
Welche Rolle der Hessische Verfassungsschutz spielte
Außerdem werden weitere Beweisanträge der Nebenkläger erwartet, wie dies am gerade abgeschlossenen 188. Verhandlungstag (Donnerstag) geschehen ist. Die Nebenklage möchte diesmal, dass Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier vor Gericht geladen wird. Der CDU-Politiker war 2006 Innenminister in Hessen. Er soll helfen, die dubiose Rolle des hessischen Landesverfassungsschutzes im Fall Yozgat aufzuklären. Im April 2006 war nämlich ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mit Kontakten in die rechte Szene am Tatort in Kassel, wo Halit Yozgat erschossen wurde. Allerdings will er von der Tat nichts mitbekommen haben. Bei den weiteren Ermittlungen kam es zu zahlreichen Ungereimtheiten, die noch nicht erklärt werden konnten. Auch die Rolle Bouffiers ist in diesem Zusammenhang noch nicht völlig geklärt. Wie das Gericht um Richter Manfred Götzl über den Beweisantrag entscheiden wird, ist nicht abzusehen.