Inland

Deniz Yücel: „Hauptsache, man ergibt sich nicht“

Deniz Yücels erster öffentlicher Auftritt findet nicht in einer Talkshow statt, sondern in seiner Berliner Wahlheimat Kreuzberg. Vor 800 Gästen spricht er über die Haft, liest aus seinem neuen Buch und sagt: „Es ist schön, nicht alleine zu sein.“
von Johanna Lehn · 26. März 2018
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Als er die Bühne des Festsaals Kreuzberg betritt, brandet langanhaltender Applaus auf, Deniz Yücel ist sichtbar gerührt. „Das ist jetzt für mich nicht ganz so einfach, aber ich versuche mal, nicht gleich loszuheulen.“ Emotionen bestimmen den ersten öffentlichen Auftritt des Journalisten seit der Haftentlassung. Schon zu Beginn sagt er, er sei so aufgeregt wie noch nie zuvor bei einem Auftritt. An diesem Samstagabend stellt Yücel sein neues Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ vor.

Kein freier Blick auf den Himmel

Yücel liest daraus Texte, die vor und während der Haft entstanden sind, und erzählt von seiner Zeit im Gefängnis Silivri. Was ein düsteres Thema sein könnte, sorgt für viele Lacher, denn Yücel hat es geschafft, sich nicht unterkriegen zu lassen und seinen ironischen Blick auf die Dinge zu behalten. „Ich habe versucht zu kämpfen, zu schreiben, mich zu Wort zu melden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir noch mehr Krawall gemacht.“

Alles, was das Leben in Silivri angenehm mache, sei verboten. Zehn Bilder dürfe man besitzen, aufhängen allerdings keines, berichtet Yücel. Der sogenannte „Garten“ in der Isolationshaft sei ein Hof aus blankem Beton gewesen. Durch den darüber gespannten Draht habe er nicht einmal einen freien Blick auf den Himmel gehabt. Im Gefängnisladen habe er Petersilie, Dill oder Minze gekauft und in abgeschnittenen Plastikflaschen als „Raumschmuck“ in seine Zelle gestellt. Doch auch das sei verboten, der Raumschmuck bald entfernt gewesen. „Dieses System ist darauf ausgerichtet, Lebensfreude zu nehmen“, sagt Yücel.

Unterstützung gab ihm Kraft

Einmal pro Woche durfte ihn seine Frau Dilek Mayatürk Yücel für eine Stunde sehen, allerdings getrennt durch eine Scheibe. Er holt einen Stapel bunter Briefe hervor, die sie ihm ins Gefängnis schickte und ein wenig Farbe und Freude in seine Zelle gebracht hätten. „Dafür werde ich ihr mein Leben lang dankbar sein und es wird immer noch zu wenig sein“, sagt er.

Heute gehe es ihm auch deshalb gut, weil unzählige Menschen an seiner Seite gestanden hätten, sagt Yücel. Das habe ihm sehr viel Kraft gegeben. „Deshalb waren auch alle Autokorsos, Lesungen, Konzerte, Briefe und Nachrichten nicht umsonst.“ Eine Postkarte, die ihn erst nach der Haft erreicht hat, liest er vor. Dazu gehört ein Paar selbstgefilzter roter Hausschuhe, die die Schreiberin für ihn angefertigt hatte. Als Journalist mit ausländischem Namen hätten ihn vor der Haft viele hasserfüllte Nachrichten erreicht. Während der Haft habe er das Gegenteil erlebt. „Das ist groß. Das ist wirklich große Klasse. Mich rührt das“, sagt Yücel zu dem Geschenk.

Veysel Ok: Mehr als ein Anwalt

Vor seiner Festnahme sei er nicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, erzählt der deutsch-türkische Journalist. Im Gegenteil. Denn: „Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, denjenigen, die die Macht haben, auf die Pelle zu rücken.“ Und: „Das tun wir nicht für uns selbst oder weil wir so coole Typen sind, sondern das tun wir im Auftrag der Öffentlichkeit.“

Ein Jahr und zwei Tage war Yücel in der Türkei in Haft, ohne dass eine Anklage gegen ihn vorlag. Seinen Dank richtet Yücel an seinen Anwalt Veysel Ok, der an diesem Abend ebenfalls anwesend ist. Dieser sei während der Haft zu einer Art Familientherapeuten für Deniz und Dilek geworden. Er habe das berühmte Foto nach der Freilassung geschossen, das Yücel Arm in Arm mit seiner Frau zeigt. Und vor allem sei er ein Freund geworden. Doch auch Ok ist dankbar. Yücel habe ihn vieles gelehrt: Courage, Widerstand und zu kämpfen. Er appelliert aber auch an das, was selbst an diesem Abend als bitterer Beigeschmack bleibt: „Lasst uns nicht vergessen, dass immer noch mehr als 150 Journalisten in der Türkei inhaftiert sind.“

Autor*in
Johanna Lehn

studiert Politikwissenschaft und Soziologie und schreibt für den „vorwärts“.

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