Von Susanne Dohrn
Eine kleine Werbeagentur irgendwo in der deutschen Provinz. Sie will anonym bleiben, denn der Fall ist heikel. Einer ihrer Kunden hat sich beschwert, weil er Abgaben zahlen soll auf kreative
Leistungen, die er von der Agentur bezogen hat. Fünf Jahre rückwirkend! Der Agenturchef kann das nicht glauben, erkundigt sich und erfährt: Das ist alles rechtens. Nun schwankt er zwischen Wut und
Verzweiflung. Hintergrund dieser Aufregung ist die Reform des Künstlersozialkassengesetzes, die im vergangenen Sommer verabschiedet wurde und die dafür sorgt, dass Verwerter künstlerischer
Leistungen sich nun nicht mehr um Zahlungen herummogeln können. Das nämlich war bislang der Fall.
Was ist passiert?
"Künstler" - dazu gehören z.B. Schauspieler, Grafiker, Autoren, Journalisten - können sich bei der Künstlersozialkasse kranken- und rentenversichern. Eine tolle Sache. Denn im Gegensatz zu
anderen Selbständigen zahlen sie - wie angestellt Beschäftigte auch - nur die Hälfte der Sozialversicherungsabgaben. Den "Arbeitgeberbeitrag" übernimmt die KSK. Die finanziert sich zu 50 Prozent
aus den Beiträgen der Versicherten, zu 30 Prozent aus den Abgaben der Verwerter und zu 20 Prozent aus Steuern.
Die Zahl der kleinen Selbständigen in Deutschland steigt im Zuge der Wandlung des Landes zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Außerdem werden zunehmend Arbeiten, die vordem von
Festangestellten geleistet wurden, an freie, selbständig arbeitende Mitarbeiter delegiert. Für die KSK hieß das in den vergangenen Jahren: Rasant steigende Mitgliederzahlen - von knapp 48 000 im
Jahr 1991, auf gut 112 000 im Jahr 2000 und 153 000 zum 1. Januar 2007. Die Folge: steigende Ausgaben.
Nun rächte es sich, dass die Finanzierung auf wackeligen Füßen stand. Seit 1983 müssen Unternehmen, die Aufträge an selbständige Künstler und Publizisten erteilen, darauf Abgaben an die KSK
zahlen. Von denen wird dann der "Arbeitgeberbeitrag" finanziert. Derzeit sind es 5,1 Prozent. Viele Verwerter künstlerischer Leistungen kamen dieser Pflicht jedoch nicht nach, manche, weil sie das
Geld sparen wollen, die meisten, weil sie von der Abgabe gar nichts wussten. Probleme bekamen sie deshalb nicht, obwohl sie im Grunde Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen - immerhin ein
Straftatbestand. Die KSK konnte mit ihren 17 Mitarbeitern in Wilhelmshaven die fehlenden Beiträge nicht eintreiben. So verschlechterte sich die Finanzlage KSK rapide. Der Bund musste mit immer mehr
Steuermitteln aushelfen.
Schließlich gab es nur eine Alternative: abschaffen oder reformieren? Zum Glück für die frei arbeitenden Künstler und Publizisten entschied sich die Große Koalition für die Reform. Aber wie
so oft in solchen Fällen, ist die Folge erstmal Verwirrung, Ärger, Fassungslosigkeit. "Die spontane Reaktion ist von Wut geprägt", bestätigt ein Mitarbeiter des zuständigen Arbeitsministeriums.
3600 Kontrolleure, 280 000 Briefe
Wichtigste Veränderung: Seit dem 1. Juli 2007 prüft die Deutsche Rentenversicherung (DRV), ob Unternehmen Verwerter künstlerischer Leistungen sind, also Abgaben an die KSK zu zahlen hat.
Statt 10 Prüfer der KSK stehen dafür nun 3600 Kontrolleure der DRV zur Verfügung. Nach und nach werden 280 000 Unternehmen angeschrieben und aufgefordert, solche Honorare zu melden. Es empfiehlt
sich, einen solchen Brief ernst zu nehmen, und wahrheitsgemäß zu beantworten. Der Gesetzgeber hat den Bußgeldrahmen von 5000 Euro auf 25 000 Euro erhöht. Entkommen, durchmogeln, hoffen, dass es
keiner merkt, lohnt sich nicht. Wer Verwerter ist, muss zahlen, bei Sozialversicherungsbeiträgen fünf Jahre rückwirkend.
Zahlen müssen alle, die Kunst und Kultur anwenden. Dazu gehört ein Unternehmen, dass einen Messestand künstlerisch gestalten lässt, und dafür einen freiberuflichen Designer bezahlt, eine
Galerie, die einen Katalog texten und layouten lässt oder ein Verlag, der einen Beitrag von einem freien Journalisten kauft. Dazu gehört auch das eingangs beschriebene Unternehmen, das sich bei
einer kleinen Agentur eine Anzeigenkampagne kreieren lässt. Im letzteren Fall ist es egal, ob diejenigen, die in der Agentur Arbeit umsetzen, in der KSK versichert sind oder nicht. Die Abgabe
entfällt auf jede honorarpflichtige künstlerische Leistung der GbR. Sie nimmt hier sozusagen die Stelle des "Freien" ein.
Ausnahmen von den Abgaben
Etwa anders gestaltet es sich bei GmbHs. Ein Unternehmer, der von einer GmbH Leistungen bezieht, muss darauf keine Abgaben an die KSK zahlen. Die Begründung aus dem Arbeitsministerium lautet,
die GmbH müsse ja auch, weil sie für ihre Angestellten Kreativen die vollen Sozialversicherungsabgaben zahlt, höhere Preise nehmen. Allerdings kann auch eine GmbH mit Freien arbeiten (für die sie
wiederum KSK-Abgaben zahlen muss)und eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) mit festen Angestellten. Für ein Stück Gerechtigkeit hat der Arbeitgeber dennoch gesorgt. Die GmbH muss für die an
ihre Gesellschafter und Geschäftsführer gezahlten Entgelte Abgaben an die KSK zahlen, es sei denn, sie hat sie fest und voll sozialversicherungspflichtig angestellt.
Weitere Ausnahme: Wer sich ein Gemälde fürs Wohnzimmer kauft, muss nicht zahlen. Wer eine Musikergruppe beim privaten Gartenfest auftreten lässt auch nicht. Ebenso wenig wie der Rechtsanwalt,
der sich sein Briefpapier gestalten lässt. Sie alle gelten als Endverbraucher. Würde der Rechtsanwalt jedoch ein Anzeigenmotiv bestellen, müsste er zahlen, weil die Anzeige dazu dient, sein
Unternehmen bekannter zu machen. Er wäre dann nicht mehr Endverbraucher.
Auch die in der KSK Versicherten müssen sich auf Veränderungen einstellen. Sie schätzen am Ende eines jeden Jahres ihr Einkommen des Folgejahres. Danach berechnen sich dann die Beiträge zur
KSK. Wie hoch das Einkommen wirklich war, wurde bislang allenfalls in Stichproben kontrolliert. Zukünftig wird es wahrscheinlicher, dass ein Brief von der KSK ins Haus flattert mit der Bitte die
Steuererklärungen nachzureichen, Zwecks Kontrolle des wirklichen Einkommens. Auch hier gilt, Prüfungen und Nachzahlungen können fünf Jahre rückwirkend erfolgen.
Modell für die Zukunft?
Wer das für ungerecht hält, sollte folgendes bedenken. In Deutschland arbeitet etwa die Hälfte der Selbständigen auf eigene Rechnung. Die finanzielle Situation dieser so genannten
"Solo-Selbständigen" ist oft prekär. Ein soziales Netz gibt es für sie nicht. Dahinter steht die Vorstellung, dass Selbständige so viel verdienen, dass sie im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten
selbst Vorsorge treffen können und keinen Schutz der Solidargemeinschaft brauchen. Genau das können die neuen Selbständigen nicht.
Die Ursache ist ein Fehler im System. Der voll Beitragsatz in der Rentenversicherung Arbeitgeberbeitrag eingeschlossen beträgt 19,9 Prozent, der zur Krankenversicherung um die 14 Prozent. Er
ist also doppelt so hoch wie der von Festangestellten, weil sie (Ausnahme KSK-versicherte Künstler und Publizisten) keinen Arbeitgeber haben, der ihren Anteil übernimmt. Über den wohlmeinenden
Hinweis, Selbständige könnten diese Kosten ja schließlich von den Steuern absetzen, können die meisten Solo-Selbständigen nur lächeln. Das setzt ein Einkommen voraus, bei dem man nennenswerte
Beiträge steuerpflichtig geltend machen kann. Aber wer hat das schon?
Hier wäre die nächste wichtige Aufgabe der Politik: Die neuen Selbständigen zu vertretbaren Abgaben für Kranken, Renten und womöglich Arbeitslosenversicherung ins soziale Netz einzuschließen.
Vielleicht ist die KSK dabei gar nicht so ein schlechter Weg.
Mehr: www.kuenstlersozialkasse.de
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