Am Donnerstag endet in Oslo die Europakonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die Direktorin des deutschen Büros Sabine Baun fordert im Interview mit vorwärts.de mehr Investitionen in Beschäftigung, da sich „allein durch Sparen die Lage in den betroffenen Ländern eher verschlechtert“
vorwärts.de: In ihrem Arbeitsmarktbericht 2012 stellt die ILO ein wachsendes Risiko sozialer Unruhen fest. Was sind die Ursachen?
Sabine Baun: Allein in den letzten sechs Monaten haben eine Millionen Menschen in der EU ihren Arbeitsplatz verloren. Es gibt keinen Grund zum Aufatmen - im Gegenteil: Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist weiterhin düster und viele Menschen verlieren die Hoffnung wieder Arbeit zu finden. Die Langzeitarbeitslosigkeit wird in weiten Teilen Europas zu einem strukturellen Problem. Allein in 19 EU-Staaten sind mehr als 40 Prozent der Arbeitslosen schon seit mehr als einem Jahr ohne Job.
Das schafft Unsicherheit und Unzufriedenheit - und das ist messbar: Durch die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich das Risiko sozialer Unruhen seit Ausbruch der Krise EU-weit um 15 Prozentpunkte erhöht.
Welche Menschen sind in welchen Ländern besonders stark betroffen?
Von der Arbeitslosigkeit und den zunehmenden unsicheren Beschäftigungsverhältnissen wie Zeitarbeit und befristete Verträge sind vor allem Jugendliche betroffen und Menschen mit geringen Qualifikationen. In der EU ist im Schnitt fast jeder vierte junge Mensch arbeitslos, in Griechenland und Spanien sogar mehr als jeder zweite.
Und was auch großen Anlass zur Sorge geben muss: Immer mehr junge Menschen in Süd- und Osteuropa, die keine reguläre Arbeit finden, werden in den informellen Sektor abgedrängt. In Südeuropa arbeiten mittlerweile über 20%, in Osteuropa bis zu 30% der Menschen in informellen Beschäftigungsverhältnissen mit gravierenden Folgen für ihre soziale Absicherung.
Die ILO fordert den Abwärtsdruck auf Löhne und Beschäftigung zu stoppen und nennt die Reaktion Schwedens auf Finanzmarktprobleme als Vorbild. Was hat Schweden anders gemacht?
Schweden hat Anfang der 90er-Jahre beim Auftreten der Probleme sehr schnell und entschieden unter anderem mit einer Reform des Bankensektors reagiert. Die faulen Kredite wurden aus den Banken herausgenommen, und dadurch wurden diese wieder in die Lage versetzt, Kredite an den Privatsektor zu vergeben. Auf diese Weise ist es gelungen, gerade mittelständische Unternehmen wieder zu Investitionen zu bewegen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Jugendarbeitslosigkeit in der EU hat alarmierende Zustände erreicht, heißt es. Wird dieses Thema in der deutschen Öffentlichkeit als Problem ausreichend wahrgenommen?
Das dramatische Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit und ihre sozialen Folgen fordern ein schnelles Handeln und ein Umsteuern in der Politik. Sparmaßnahmen sind zwar zweifellos nötig. Aber es hat sich gezeigt, dass sich allein durch Sparen die Lage in den betroffenen Ländern eher verschlechtert als verbessert. Es ist wichtig, sich jetzt in Europa stark zu machen für wirkungsvolle beschäftigungspolitische Maßnahmen und für realistischere Sparvorgaben zur Reduzierung von Haushaltsdefiziten. So gesehen gibt es in Deutschland vielleicht noch kein ausreichendes Bewusstsein für die Dringlichkeit der Herausforderungen.
Die Jugendarbeitslosigkeit war auch Tagesordnungspunkt der Europakonferenz vom 8.-11. April in Oslo Welcher Handlungsbedarf besteht?
Der Handlungsbedarf ist enorm und es ist wichtig, schnell Maßnahmen zu ergreifen. Die Diskussionen bei der Konferenz haben gezeigt, dass Regierungen und Sozialpartner in den Ländern Europas diese Dringlichkeit erkannt haben. Jetzt geht es darum, zu handeln und finanzielle Spielräume etwa für Beschäftigungs- und Ausbildungsgarantien für Jugendliche zu schaffen.
INFO: Sabine Baun ist Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Deutschland
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.