Inland

„Das Kernstück ist Transparenz“

von Kai Doering · 14. Juni 2012

Noch immer werden Männer und Frauen ungleich bezahlt. Damit muss Schluss sein, fordern Christel Humme und Caren Marks. Mit der SPD-Bundestagsfraktion haben sie den Entwurf für ein Entgeltgleichheitsgesetz erarbeitet, das heute im Bundestag beraten wird. Auf vorwärts.de erklären sie, wie das Gesetz funktioniert.

vorwärts.de: Woran denken Sie, wenn Sie die Zahl 23 hören?

Christel Humme: Mir fällt da sofort die Lohnungerechtigkeit ein. Frauen werden in Deutschland noch immer schlechter bezahlt, weil sie Frauen sind. Der durchschnittliche Unterschied zu den Männern beträgt 23 Prozent – bei höheren Einkommen sogar mehr als 30 Prozent.
 

Caren Marks: Diese 23 Prozent sind einerseits strukturell bedingt, andererseits auch Ergebnis direkter Diskriminierung von Frauen bei der Bezahlung. Deshalb ist 23 für mich in erster Linie eine Zahl, die dringend verringert werden muss. Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei.

Seit 2006 hat sich an den 23 Prozent Lohnunterschied nichts verändert, obwohl dies parteiübergreifend kritisiert wird. Wo liegt das Problem?

Christel Humme: Es gibt zwar jede Menge Gesetze, die Gleichbehandlung garantieren sollen, aber ein wirkliches Verfahren, diese zu erreichen, existiert nicht. Es steht vieles auf dem Papier, aber in der Praxis tut sich nichts.

Caren Marks: Wir haben ein Prinzip ohne Praxis. Es hilft doch nichts, wenn wir jedes Jahr rund um den „Equal Pay Day“ die Lohnungerechtigkeit bedauern, dem Bedauern aber keine Taten folgen. Wir wollen die Ungerechtigkeit nicht nur benennen, sondern sie abschaffen. Deshalb hat sich die SPD-Bundestagsfraktion auf den Weg gemacht und ein Entgeltgleichheitsgesetz ausgearbeitet.

Wie soll das Gesetz wirken?

Christel Humme: Kernstück des Gesetzes ist Transparenz. Viele Frauen nehmen nur deshalb eine schlechtere Bezahlung hin, weil sie gar nicht wissen, was ihre männlichen Kollegen verdienen. Hier setzen wir an. Mit Hilfe des Entgeltgleichheitsgesetzes sollen die Gehaltsstrukturen aller Unternehmen anonymisiert offen gelegt werden, die 15 und mehr Mitarbeiter haben. Wichtig ist dabei, dass die Betriebe sich quasi selbst kontrollieren. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben die Chance, selbst dafür zu sorgen, dass Lohnungerechtigkeiten beseitigt werden 

Caren Marks: Für uns ist wichtig, die betriebliche Mitbestimmung bei der Herstellung von Entgeltgleichheit in den Unternehmen zu stärken. Mit den Mechanismen, die unser Gesetz vorsieht, wird das gelingen.

Und was passiert, wenn die Betriebe ihre Gehaltsstrukturen nicht offen legen?

Christel Humme: Wenn es so weit kommt, wird die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Bußgelder erheben müssen. Sanktionen sind die ultima ratio, aber ohne sie wird es nicht gehen. Allein auf Freiwilligkeit zu setzen, reicht nicht aus.

Caren Marks: Das stimmt. Ohne Sanktionen ist das Gesetz ein zahnloser Tiger. Wir wollen ein Gesetz, bei dem von Anfang an klar ist, dass sich die Beteiligten daran halten müssen. Wir meinen es ernst mit der Herstellung der Entgeltgleichheit. Das soll allen klar sein. Ich bin aber zuversichtlich, dass es in den meisten Fällen nicht zu Sanktionen kommen wird. Zum einen haben die Unternehmen, die ihre Gehaltsstrukturen nicht offen legen, einen Ruf zu verlieren. Zum anderen wird der sich zuspitzende Fachkräftemangel mit dazu beitragen, dass Arbeitgeber es sich nicht länger leisten können, Frauen zu benachteiligen. 

Christel Humme: Das ist ein wichtiger Punkt. Ich bin fest davon überzeugt, dass Betriebe künftig damit werben werden, dass Frauen bei ihnen vernünftig entlohnt werden.

In Betrieben gibt es sehr unterschiedliche Tätigkeiten. Wie wollen Sie vermeiden, dass Äpfel mit Birnen verglichen werden?

Caren Marks: Es geht um die Bewertung der Tätigkeit. Wir schreiben in unserem Gesetz kein Verfahren vor. Es gibt geeignete und ungeeignete. Mit dem sogenannten Entgeltgleichheits-Check etwa können auch Tätigkeiten verglichen werden, die nicht exakt gleich sind, weil auch Faktoren wie Personalverantwortung oder Belastungen im Beruf einbezogen werden. Wir sind auch in einem engen Austausch mit den Gewerkschaften, um eine möglichst qualifizierte Vergleichbarkeit sicherzustellen.

Christel Humme: Wichtig ist, die Anforderungen einer Tätigkeit zu bewerten und zu vergleichen, wie es der Entgeltgleichheits-Check macht. In die Bewertung muss das Grundgehalt mit einbezogen werden, aber auch Zulagen und Gratifikationen. Diese werden oft geschlechterabhängig höchst unterschiedlich gewährt. Diese mittelbare Diskriminierung ist oft nicht direkt zu erkennen. Auch dagegen soll unser Gesetz Abhilfe schaffen.

Caren Marks: Aber Sie haben Recht: Es gibt durchaus Grenzen, an die das Gesetz stößt. Es kann natürlich nicht die Erzieherin in einer Kommune mit dem Kfz-Mechaniker in einer Werkstatt vergleichen. Es ist aber möglich unterschiedliche Tätigkeiten miteinander zu vergleichen und zu bewerten, wenn der Arbeitgeber derselbe ist.

Christel Humme: Es spielt dabei übrigens keine Rolle, ob sie fest im Betrieb beschäftigt sind oder als Leiharbeiterinnen oder Leiharbeiter tätig sind. 

Union und FPD haben bereits signalisiert, dass sie den Gesetzentwurf ablehnen wollen. Kommt es dann zur Wiedervorlage im Wahlkampf 2013?

Christel Humme: Wir hoffen natürlich, dass unser Gesetzentwurf schon jetzt eine Mehrheit findet. SPD und Grüne sind sich einer Meinung. Nun kommt es auf die anderen Fraktionen an. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind die ersten, die einen Entwurf vorlegen und der wird nicht wieder in der Schublade verschwinden, auch wenn er jetzt abgelehnt werden sollte. Die Instrumente für die Umsetzung haben wir ja schon jetzt. Die Antidiskriminierungsstelle z.B. gibt es bereits seit 2007. Das Entgeltgleichheitsgesetz ist auch ein Baustein des Gleichstellungsprogramms der SPD, um strukturelle Ungleichheit zu bekämpfen. Insofern wird es auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Wann wollen Sie die vollständige Lohngleichheit erreicht haben?

Christel Humme: Das Entgeltgleichheitsgesetz wird ein Verfahren in Gang setzen, das sich peu a peu durchsetzt. In zehn Jahren sollte auf diese Weise die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen hergestellt sein. Das klingt zunächst sehr lang. Wenn man aber bedenkt, dass die Forderung nach Lohngleichheit bereits mehr als einhundert Jahre besteht, ist das ein überschaubarer Zeitraum.

Caren Marks: Die Chance ist groß wie nie. Wir müssen einfach anfangen.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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