Inland

„Das große Erbe Bildung nicht verspielen“

von Vera Rosigkeit · 21. Oktober 2008
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vorwärts.de: Braucht Deutschland einen nationalen Bildungsgipfel?

Julian Nida-Rümelin: Es muss eine nationale Verantwortung für die Bildungsentwicklung dieses Landes geben. Deutschland war in seinen guten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und noch vor dem ersten Weltkrieg die führende Bildungsnation der Welt. Dieses große Erbe, in Bildungsfragen an der Spitze weltweit zu stehen, haben wir in zwei Weltkriegen, der NS Diktatur und in der Nachkriegsphase, in der natürlich alles andere wichtiger erschien, aufgegeben. Nun folgt ein bitteres Erwachen, in dem sich dies als großer auch ökonomischer Fehler herausstellt.

Deutschland ist ein Land, das keinerlei Ressourcen hat. Wir geben in Deutschland einen im internationalen Vergleich relativ niedrigen Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts für Bildung, Forschung und Wissenschaft aus. Gleichzeitig zeigt der Armuts- und Reichtumsbericht, dass die Gesellschaft zunehmend auseinanderdriftet. Der eigentliche Schlüssel dies zu verändern liegt in der Bildung und Ausbildung unserer Menschen.

Deshalb brauchen wir eine nationale Anstrengung, um Bildung wieder ins Zentrum der Entwicklung zu rücken. Das heißt nicht, die Länder zu entmachten. Sie sollen ihre kulturellen Besonderheiten in der Bildungspolitik berücksichtigen und nach eigenen Vorstellungen gestalten können.

Und wenn die Bundesländer weiterhin auf ihre Zuständigkeit pochen?

Die Föderalismusreform I sollte in diesem Punkt korrigiert werden. Es muss eine klare Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern geben. Wir sollten uns auf essentielle Ziele verständigen. Die können von den Ländern, aber auch von den Schulen, die mehr Verantwortung bekommen müssen, unterschiedlich umgesetzt werden.

So gesehen hat der PISA-Schock vieles in Gang gebracht. Das kann uns Sozialdemokraten freuen. Auch die Konservativen haben unterdessen verstanden, dass das bisherige Bildungssystem nicht mehr in die moderne Welt passt. Wir befinden uns in einer Umbruchphase und diese Verunsicherung ist gut.

Es ist ja paradox, dass gerade diese Kanzlerin, die eigentlich die Bildungspolitik ganz den Ländern überlassen wollte, jetzt mit dem Thema Bildungsgipfel das Thema wieder an sich zu ziehen versucht. Das passt nicht zusammen. Entweder - oder.

Was muss sich inhaltlich ändern?

Besonders im Hochschulbereich besteht die Gefahr, dass wir zu leichtfertig die normative Substanz der Universität aus den Augen verlieren und zu sehr auf den kurzfristigen ökonomischen und technischen Vorteil schielen. Bildung ist immer auch Bildung der Persönlichkeit, da geht es um Eigenständigkeit und Urteilsfähigkeit. Das ist ökonomisch von höchster Bedeutung, mehr als die Frage, ob ich dieses oder jenes im Detail gelernt habe.

Auch müssen wir unsere Besonderheit aufrechterhalten, dass wir neben Schul- und Hochschulabschluss auch noch einen anderen Weg in den Beruf haben. Das Duale System kann auf Dauer nur dann im internationalen Vergleich eine Stärke des deutschen Bildungssystems bleiben, wenn es ein alternativer und gleichrangiger Weg in den Beruf bietet. Es darf nicht sein, dass dieser Weg für die gedacht ist, die woanders gescheitert sind und dann gezwungen sind, "lediglich" eine Ausbildung zu machen. Das wäre das falsche Signal und zudem auch ganz unsozialdemokratisch.

Wo muss sich die SPD jetzt stark machen?

Es ist ja in Deutschland etwas Eigenartiges passiert. In der Hochschulpolitik wollten wir das amerikanische Erfolgsmodell mit dem Bachelor und Master kopieren. Stattdessen haben wir kopiert, was wir für das amerikanische Modell halten. Der amerikanische Bachelor ist nämlich bildungsorientiert. Der ist sehr breit und mit vielen Wahlfreiheiten angelegt. Während wir es geschafft haben, Schmalspurstudiengänge meistens ohne Nebenfach und hochgradig verschult mit langen Präsenzzeiten und wenig Eigenstudium einzuführen. Das halte ich für einen Fehler. Wir brauchen wieder mehr Eigenverantwortung für Studierende und mehr Eigenstudium vor allen in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Deshalb bin ich überzeugt: Es muss eine Reform der Reform geben.




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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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