Chemnitz: Nazi-Übergriffe auf Journalisten
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Die Ausschreitungen in Chemnitz am vergangenen Wochenende markieren einen Höhepunkt in Übergriffen gegen Journalisten in Deutschland: Hitlergrüße vor laufenden Kameras, hunderte „Lügenpresse“ skandierende Demonstranten, ein Reporter mit gebrochener Nase, Medienhäuser, die ihre Kameraleute von Bodyguards begleiten lassen müssen.
Dass Hooligans und gewaltbereite Rechtsradikale Journalisten – insbesondere TV-Teams – gewaltsam an ihrer Arbeit hindern, ist dabei nicht neu. Neu allerdings ist das Ausmaß, meint Frank Überall, Vorstand der Journalistengewerkschaft DJV, im Interview mit dem „vorwärts“: „Verbale und tätliche Übergriffe häufen sich und haben zunehmend eine andere Qualität.“ Schon früher sei üblich gewesen, dass Reporter angeschrien, beschimpft und von Bühnen aus namentlich begrüßt worden waren. „Das war anstrengend, tat aber nicht weh. Heute fliegen Steine oder Flaschen, Kameras werden aus der Hand geschlagen, und die Polizei schaut weg, weil sie sich auf ihren vermeintlichen Einsatzzweck konzentriert.“
Bodyguards für Medienvertreter
In Chemnitz sind die Medien endgültig zum Ersatzfeind für die Politik geworden: Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen bei einem Volksfest hatten sich vor dem Karl-Marx-Monument Hunderte Nazis rund um die rechtspopulistische Bewegung "Pro Chemnitz" getroffen und waren durch die Innenstadt gezogen. Vor der Stadthalle hatten sich Teilnehmer einer Kundgebung gegen rechte Gewalt versammelt: Über 1000 Personen waren dem Aufruf des Bündnisses "Chemnitz Nazifrei" gefolgt.
Mit Einbruch der Dämmerung hatten die meisten Medienhäuser dann ihre Mitarbeiter von den Straßen abgezogen. Eine wesentliche Säule des Rechtsstaats, die freie Presse, ist damit in Gefahr. „Politiker scheinen die Haltung zu haben, das sei doch alles gar nicht so schlimm“, so Überall, der selbst als Reporter über rechtsextreme Demonstrationen berichtet hatte. Und: „Nicht in allen Bundesländern tauschen sich Sicherheitskräfte, Zivilgesellschaft und Medienvertreter ausreichend aus.“
Journalismus 2018: Beobachter – oder Freiheitskämpfer?
Die vermehrten Übergriffe richteten sich inzwischen allerdings gegen die Demokratie als solche. Auch in Dresden war jüngst ein Filmteam des ZDF nach einer Anzeige durch Pegida-Demonstranten 45 Minuten durch die Polizei an der Berichterstattung gehindert worden.
„Pressefreiheit ist ein Grundrecht - insofern müssen wir jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass wir bei der Ausübung unseres Berufs von der Polizei konsequent geschützt werden.“
Bislang brächten noch zu wenige Journalisten Vorfälle zur Anzeige. „Das Problem ist, dass wir gelernt haben, uns mit keiner Sache gemein zu machen. Deswegen treten wir seltener mit politischen Forderungen auf. Wenn wir allerdings so angegriffen werden, ist der Punkt erreicht, wo wir uns wehren müssen: für die Pressefreiheit.“
Chemnitz markiert dabei auch einen möglichen Wendepunkt in der Selbst- und Fremdwahrnehmung von Medienvertretern. Die Zeit, in der Journalisten nur kommentieren, sei vorbei: „Der Schritt hin zum Aktivismus, der für Journalisten allgemein auch problematisch ist, wird da, wo es um die Verteidigung der Pressefreiheit geht, jetzt nötig.“
Informationen zu Übergriffen auf Journalisten und zu Vorsichtsmaßnahmen bietet das Watch-Blog des DJV