Bundestag: Warum vier Jahre reichen – oder eben nicht
Pro
Es liegt in der Natur der parlamentarischen Sommerpause, dass kleine Meldungen große Wellen schlagen. Insofern hat Bundestagspräsident Norbert Lammert mit der Wiederholung der Forderung nach einer Ausweitung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre gutes Timing bewiesen. Dass das zuvor bereits anderen gelungen war darf nicht davon ablenken: Die Forderung ist berechtigt!
Denn natürlich ist es so, dass die Arbeit des Bundestags massiv von Wahlkampfstrategien und deren ganz besonderer Arithmetik beeinflusst wird. Nach außen wird das niemand laut sagen, aber mal ehrlich: Wer verbrennt sich schon kurz vor wichtigen Wahlen an unpopulären Entscheidungen die Finger, nur um dafür vom Souverän per Kreuzchen die Quittung zu bekommen? Das Argument von Lammert und anderen, eine Verlängerung der Legislaturperiode verbessere die Bedingungen für eine wirklich sachorientierte Arbeitsweise im Parlament, trifft zu.
Eine Legislatur von fünf Jahren erhöht die „Haftung“ der Politiker
Doch es gibt noch ein weiteres Argument für die Ausweitung der Amtszeit unserer Volksvertreter im Bund: ihre Verantwortung. Wer fünf Jahre lang Mitglied des Bundestags ist und für seine dort getroffenen Entscheidungen gerade stehen muss, kann von Wählern wie Öffentlichkeit auch eher „in Haftung“ genommen werden. Denn es ist ja gerade nicht so, dass heute getroffene Entscheidungen der Politik morgen ihre Wirkung entfalten.
Die so häufig zitierten langsam mahlenden Mühlen, sie stehen auch im Berliner Reichstag. Und weil diesem zum Zeitpunkt der Ernte viele Saathelfer längst den Rücken zugewandt haben, leidet die deutsche Politik an einem Verantwortungsvakuum. Der sprichwörtliche Schnee von gestern wird so schnell zum Regen von morgen, die Verantwortlichen jedoch liegen dann längst in der Sonne und grüßen milde lächelnd in die Heimat.
Der Vorschlag Lammerts wird dieses Problem nicht beheben, sicher; Abhilfe schaffen könnte er dennoch. Insofern ist die Zustimmung aus den Reihen der verschiedenen Fraktionen zu begrüßen. Jetzt kommt es drauf an, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Möglichst noch vor den nächsten Wahlen.
Contra
Die Forderung, die Legislatur des Bundestags von vier auf fünf Jahre zu verlängern, ist ein alter Bekannter. Regelmäßig taucht er irgendwann zwischen Ende Juni und Anfang September auf; immer dann, wenn die Parlamentarier in den Ferien sind. Aufgebracht haben sie schon die verschiedensten Personen. Diesmal war es der zweithöchste Repräsentant des Staates, Bundestagspräsident Norbert Lammert.
Nirgendwo werde so oft gewählt wie in Deutschland beklagt sich Lammert im Interview mit der „Welt am Sonntag“. Die ständigen Wahlkämpfe schränkten die Gestaltungsmöglichkeiten des Bundestags „faktisch erkennbar“ ein. Einarbeitungs- und Vorwahlkampfzeit abgerechnet hat Lammert eine Netto-Arbeitszeit des Parlaments von gerade mal zweieinhalb Jahren errechnet.
Die Lähmung des Parlaments ist nicht so stark wie beschrieben
Das scheint nach Handlungsbedarf zu schreien. Doch bei einem genaueren Blick zeigt sich: Es ist alles halb so schlimm. Selten ziehen derart viele neue Abgeordnete in den Bundestag ein wie nach der vergangenen Wahl 2013. Die meisten arbeiten einfach weiter als kämen sie aus den Sommerferien.
Hinzu kommt, dass Regierungen durchaus nicht nach jeder Wahl wechseln, die Zeit der Koalitionsverhandlungen und der damit verbundene Stillstand im Parlament auch recht kurz sein können. Und dass eine neue Regierung selbst nach 16 Jahren Opposition im ersten halben Jahr eine Menge auf den Weg bringen kann, hat Rot-Grün 1998 eindrucksvoll gezeigt.
Eine Verlängerung der Legislatur würde die Macht der Bürger beschneiden
Auch das letzte Jahr vor der nächsten Wahl muss nicht zwangsläufig dem Wahlkampf geopfert werden. Da ist es an den Politikern selbst, diszipliniert weiterzuarbeiten und das zu tun, wofür sie für vier Jahre gewählt wurden: Gesetze auszuarbeiten, sie zu debattieren und zu beschließen.
Norbert Lammert argumentiert bei seinem Plädoyer für eine Verlängerung der Legislatur allein mit einer Steigerung der Effizienz des parlamentarischen Betriebs. Dabei verliert er aus dem Blick, dass damit für die Bürgerinnen und Bürger das zentrale Instrument der Demokratie beschnitten würde: die Möglichkeit, ihren Vertretern ein Zeugnis über ihre Leistung auszustellen und ihr Mandat ggf. zu verlängern.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.