Man soll die Dinge nicht überdramatisieren, sagte Bofinger. Ein Vergleich mit anderen großen Ländern kann helfen, die Finanzlage nicht "übertrieben negativ" zu sehen. "In fünf von sieben
G7-Ländern ist die Finanzlage im nächsten Jahr schlechter als bei uns",erklärte Bofinger im Deutschlandradio, "in keinem der Länder wird davon geredet, dass das Land ein Sanierungsfall ist."
Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, kritisierte im Interview auch die wenig zielgerichteten Maßnahmen der Bundesregierung. Als Beispiel nannte er die
Beitragssenkung zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozent im kommenden Jahr. Der Wirtschaftweise bemängelte, dass diese Lohnnebenkostensenkung für alle Einkommensgruppen gelte. "Das Problem,
das wir haben, ist aber vor allem ein Problem im Niedriglohnbereich und ich hätte mir gewünscht, dass man diese Abgabensenkung konzentriert im Niedriglohnbereich einsetzt, sagen wir mal bis 1.000
Euro", so Bofinger. Wenn man über die Hartz-IV-Kosten jammere, erklärte Bofinger weiter, so müsse man doch auch erkennen, dass dies ein Symptom sei, und "zwar ein Symptom der Tatsache, dass die
Menschen mit geringen Qualifikationen in Deutschland eben besonders große Schwierigkeiten haben, Arbeitsplätze zu finden". Hätte man die Abgabensenkung gezielt in diesem Bereich eingesetzt, hätte
man seiner Meinung nach mehr Bewegung erzielt.
Hektik bei Reformen nicht produktiv
Aber nicht nur in diesem Bereich fehle es der Regierung an Zielgenauigkeit, beklagte Bofinger. Die große Koalition arbeite derzeit an vielen Reformbaustellen, es sei aber nicht deutlich,
"was eigentlich das Gesamtkonzept ist, das hinter diesem Bauen steht." Hinzu käme ein enormer Zeitdruck, der auch von den Medien ausginge, noch vor dem Sommer wichtige Reformen verabschieden zu
müssen. Bofinger sieht keinen Grund für diese Hektik, denn "wie auch immer die Gesundheitsreform ausfällt, das ist kein Konjunkturturbo, dass man sagt, das braucht man jetzt unbedingt vorm
Sommer, dass die Konjunktur im Herbst oder im Winter wieder anspringt."
Quelle: Deutschlandradio Kultur
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.