Inland

Bildungskanon für Deutschland?

von Romy Hoffmann · 26. März 2012

Welche Bildung muss die Schule garantieren? Auf diese Frage gibt es in Deutschland 16 unterschiedliche Antworten, denn die Bildungspolitik ist die Angelegenheit der Bundesländer. In der neuen Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) „Bildungskanon heute“ diskutieren 25 Autorinnen und Autoren die Notwendigkeit und reale Umsetzung eines Mindeststandards an Wissen.

Das Abitur in Bayern habe eine völlig andere Qualität als das Abitur in Hamburg – derselbe Abschluss spiegle also nicht dasselbe Wissen wider. Diese Kritik an der „Heterogenität von Lehrplänen“ in Deutschland stammt von Jürgen Oelkers. Der Bildungsforscher von der Universität Zürich stellt als einer der Autoren stellvertretend für seine Kollegen das Buch „Bildungskanon heute“ in der FES vor. Oelkers spricht die Kultusministerkonferenz an, die im März dieses Jahres bundesweit einheitliche Abiturprüfungen ab 2016 beschlossen hat. „Ein Zentralabitur ist nicht genug, denn es gibt noch immer keine Minimalstandards an Bildung“, kritisiert Oelkers. Ein Bildungskanon, der für alle Schüler verbindliches Wissen festlegt, fehlt bisher.

Dieser Kanon sei aber auch im Zusammenhang mit dem veränderten Bildungsbegriff dringend notwendig, wie die einstige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein und eine der Herausgeberinnen des Buches, Ute Erdsiek-Rave, beteuert. Wissen sei heute problemlos und jederzeit über das Internet abrufbar, deswegen müsse zu einem Mindestmaß an Wissen auch der kompetente und kritische Umgang mit Internetquellen gehören. „Die Schüler sollen mündige Nutzer von Medien werden“, fordert Erdsiek-Rave.

„Der Bildungskanon ist ergebnisorientiert und kein Wegweiser“

Dass Deutschland einen Bildungskanon braucht, darüber sind sich nicht nur die Autoren des Buches einig. Auch die Mehrheit der Bevölkerung wünsche sich eine zentralistische Schulstruktur, bestätigt Oelkers. „Den Menschen geht es vor allem darum, die schulischen Probleme zu vermeiden, die ein Umzug von einem Bundesland in ein anderes verursacht.“ Eine Zentralisierung der Bildungspolitik lehnt Oelkers aber ab, denn sie sei ein Hoheitsrecht der Bundesländer und das solle sich in der föderalen Struktur auch nicht ändern.

„Der Bildungskanon ist ergebnisorientiert und kein Wegweiser“, stellt der Bildungsforscher klar. Die einzelnen Schulen könnten also den Inhalt ihrer Lehrpläne selbst bestimmen, der einheitliche Kanon würde lediglich die Kompetenzen und das Wissen festlegen, das die Schüler bis zu einem bestimmten Zeitpunkt beherrschen müssen. Als Beispiel für ein föderalistisches Land, das einen Bildungskanon erfolgreich umgesetzt hat, nennt Oelkers die Schweiz.

Ähnlich wie im südlichen Nachbarstaat würde ein Bildungskanon also praktisch bedeuten, dass es einen einheitlichen Rahmenlehrplan für alle Schulen gibt. Dieser sichere „ein Bildungsminimum, das sich an den allgemeinen Grund- und Menschenrechten orientieren soll“, wünscht sich Erdsiek-Rave. Das setze natürlich voraus, dass es auch ein einheitliches Schulsystem und nicht, wie bisher, 16 verschiedene gebe. Wichtig sei zudem ein neuer Umgang mit Schulfächern. Sie müssten gleichwertig behandelt werden, es dürfe keine Einteilung in PISA-Fächer, wie Mathematik, und Nicht-PISA-Fächer, beispielsweise Literaturgeschichte, geben, fordert Oelkers. So könne verhindert werden, dass einige Fächer intensiv und andere weniger intensiv gelehrt würden.

Garantie der Chancengleichheit

Wie ein Bildungskanon für Deutschland aber im Detail aussehen könnte, dazu wollte sich weder die Herausgeberin, noch der Autor äußern. Die inhaltliche Debatte sei nämlich die Aufgabe eines Fachgremiums, das sich auf Bundesebene mit der Ausformulierung eines Bildungskanons beschäftigen sollte. Über das Ziel eines Bildungskanons sind sich Erdsiek-Rave und Oelkers aber einig. Er solle durch die Sicherstellung eines Bildungsminimums nicht nur die Chancengleichheit zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch zwischen Schülern aus verschiedenen Bildungsschichten gewährleisten.

Ute Erdsiek-Rave, Marei John-Ohnesorg (Hrsg.), Bildungskanon heute, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2012, 187 Seiten, ISBN: 978-3-86498-060-2

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

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