Bildungsaufbruch, öffentlicher Arbeitsmarkt und ehrliche Diskussion gefordert
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stitung, wonach acht Prozent der Bundesbürger zu einem so genannten "Prekariat" gehören, weil ihre Lebensumstände in vielerlei Hinsicht als prekär bezeichnet
werden können, sorgt für Aufregung in der SPD. Laut Studie haben zwei Drittel dieser Gruppe keine Arbeit mehr, der Bildungsgrad sei überwiegend einfach und das Haushaltseinkommen sehr niedrig.
Finanzielle Rücklagen gebe es kaum und wenig Rückhalt in den Familien.
Vorsorgender Sozialstaat notwendig
Die Studie über die sozialen Lebenslagen in Deutschland mache deutlich, erklärte Generalsekretär Hubertus Heil am Montag im Anschluss an eine Präsidiumskonferenz, dass die "Debatte über Armut
dringend notwendig" sei. Ebenso wie der Armuts- und Reichtumsbericht habe auch die Pisa-Studie deutlich werden lassen, dass Bildungschancen in Deutschland zunehmend von sozialer Herkunft abhängig
sind. Armut in Deutschland sei daher nicht mehr nur eine Armut an Geld, Armut bestimme über Aufstiegs- und Bildungschancen und gesellschaftliche Teilhabe. Die Diskussion um die sozialen Lebenslagen
werde in die Grundsatzprogrammdebatte der SPD einfließen, betonte Heil, denn sie mache deutlich, dass um so mehr ein vorsorgender Sozialstaat notwendig sei, der "präventiv negativen Entwicklungen
entgegenwirken" solle.
Kritik an Hartz-IV
Die Ursachen dieser "sozialer Ausgrenzung und Verwahrlosung zu ergründen und dagegen anzukämpfen" sei nun die Aufgabe der Partei, sagte Stephan Hilsberg. Der stellvertretende Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion mahnte in erster Linie die Auswirkungen der Hartz-IV-Politik an. Man habe den Menschen vorgegaukelt, so Hilsberg im Tagesspiegel (Montagausgabe), dass mit "Fordern und
Fördern jeder den ersten Arbeitsmarkt erreichen kann". Das sei für viele jedoch nicht die Realität. Auch der Bundestagsabgeordnete Ottmar Schreiner übte scharfe Kritik an den Arbeitsmarktreformen.
Mini- und Ein-Euro-Jobs und befristete Arbeitsverhältnisse hätten dazu geführt, das "Millionen Menschen keine Chance mehr haben, aus dem Niedriglohnsektor mit seinen Hungerlöhnen herauszufinden".
Brandner: "Wir müssen uns ehrlich machen"
Es gebe in Deutschland sehr viele Menschen, die ohne "Chance auf sozialen Aufstieg" sind, stellte Klaus Brandner klar. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher forderte seine Partei auf: "Wenn es
um die Probleme der so genannten Unterschicht geht, dann müssen wir uns ehrlich machen." Man dürfe sich auf keinen Fall mit Sozialhilfekarrieren abfinden. Brandner forderte mehr Initiativen
besonders für unter 25-Jährige ohne ausreichenden Schulabschluss und einen öffentlichen Arbeitsmarkt, in dem vor allem Langzeitarbeitslose beschäftigt werden.
Mehr Bildung für arme Kinder
Für mehr Engagement im Bildungsbereich machte sich der saarländische Landesvorsitzende Heiko Maas stark. Gerade in sozialen Randbezirken der Städte müsse der Staat mit "Ganztagsschulen,
Nachhilfeangeboten und Kinderbetreuung ein kostenloses Angebot schaffen, das vom Elternhaus offenkundig nicht mehr gewährleistet werden kann," sagte er in der Berliner Zeitung (Montag). Besonders
jungen Menschen müsse geholfen werden aus dem Teufelskreis der "Sozialisation als Leistungsempfänger" heraus zu kommen.
Besorgt über einen zunehmnden Teil der "Gesellschaft, der abzugleiten drohe"; hatte sich bereits in der letzten Woche SPD-Chef Kurt Beck geäußert. Er wolle einen "Bildungsaufbruch"
organisieren, um Kindern aus sozial schwachen Familien einen Aufstieg zu ermöglichen. Zu seinen Plänen gehören sowohl ein weiterer Ausbau der Ganztagsschulen sowie beitragsfreie Kindergärten.
Quellen: Tagesspiegel; Berliner Zeitung; Pressekonferenz
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.