Beauftragte für Integration Pawlik: „Harte Gangart ist nicht immer einfach“
Natalie Pawlik ist Staatsministerin für Migration und Integration in der schwarz-roten Koalition. Im Interview erklärt sie, warum ihre Rolle angesichts des harten Migrationskurs der Union ein Drahtseilakt ist – und wie sie eigene Lebenserfahrungen in ihre Arbeit einbringen will.
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Natalie Pawlik ist die neue Integrationsbeauftragte.
Natalie Pawlik gehört zu den jüngeren Abgeordneten im Bundestag. Doch für ihre neue Position bringt sie mehr Vorerfahrung mit als viele andere: Die 32-jährige neue Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration ist in den 1990ern mit ihrer Familie selbst aus Sibirien eingewandert. In der Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz wird sie die Migrationspolitik mitgestalten.
Sie sind in den 1990ern mit Ihren Eltern von Russland nach Deutschland gekommen. Wie war Ihr Weg zur SPD?
Ich bin 2010, mit 18 Jahren, in die SPD eingetreten. Das hatte vor allem mit meiner eigenen Biographie zu tun: Aufstieg durch Bildung, das ist mir nur gelungen, weil es sozialdemokratische Politik gibt. Keine andere Partei hat das so stark im Blick. Politisch habe ich schon als Schülerin gedacht und gehandelt, zuerst als Klassen-, dann als Kreisschulsprechin und später auch als stellvertretende Landesschulsprecherin Hessens. Das Thema Gerechtigkeit hat für mich immer eine große Rolle gespielt, weil ich selbst erfahren habe, was ungleiche Startchancen bedeuten.
Sie sind als Spätaussiedlerin aus „einfachen Verhältnissen“ ins Bundeskabinett gekommen. Inwieweit stehen Sie für das Aufstiegsversprechen der SPD?
Meine Biografie war und ist für mich immer Antrieb, unsere Gesellschaft gerechter und besser zu machen. In der SPD und auch in den anderen demokratischen Parteien braucht es Diversität, auch im Hinblick auf die soziale Herkunft. Die Perspektive aus den sogenannten „einfachen Verhältnissen“ zeigt mir immer wieder, wo es strukturelle Hürden gibt, die wir abbauen müssen.
Nachdem Sie während der letzten Legislatur Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten waren, werden Sie nun als Integrationsbeauftragte die Migrationspolitik mitgestalten. Welche eigenen Migrationserfahrungen werden Sie einbringen?
Ich bin als Kind mit 6 Jahren aus Sibirien nach Deutschland gekommen. Meine Eltern sind Spätaussiedler und wir lebten in einem Erstaufnahmelager und dann im Aussiedlerwohnheim. Ich musste die erste Klasse wiederholen, weil ich mein Deutsch nicht gut genug war, meine Eltern hatten Schwierigkeiten eine Wohnung zu finden und nicht die Möglichkeit, Nachhilfe, Musik oder teure Hobbies zu finanzieren, obwohl sie gearbeitet haben. Die Biografien der Menschen, die nach Deutschland kommen, sind individuell. Aber viele teilen die Erfahrung, dass es strukturelle Hürden bei Integration und Teilhabe gibt, auch Diskriminierung und puren Rassismus. Da müssen wir ran.
Wenn Sie auf Ihre Erfahrungen zurückblicken, was würden Sie sagen: Wie haben sich die Hürden für Einwanderer*innen von den 1990ern bis heute entwickelt?
Auch wenn es aktuell scheint, als gäbe es einen backlash in der Migrationsdebatte: Seit unserer Übersiedlung in den 1990er Jahren hat sich sehr viel verändert – zum Positiven. In den 1990er Jahren wurde noch öffentlich darüber diskutiert, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland sei. Heute ist dies nicht nur Realität, sondern auch gesellschaftlicher und politischer Konsens.
Im letzten Jahr wurde das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert, das jetzt endlich den Lebensrealitäten unserer Gesellschaft gerecht wird. Menschen müssen sich nicht mehr zwischen dem Herkunftsland ihrer (Groß-)Eltern oder ihrem Geburtsort und dem Leben in Deutschland entscheiden. Sie gehören selbstverständlich gleichermaßen zu ihrer Identität.
Auch die Auseinandersetzung mit Rassismus hat sich vertieft, vor allem nach den NSU-Morden, dem rassistischen Terroranschlag in Hanau und der Black-Lives-Matter-Bewegung. Es gibt einen klaren Willen, in Zivilgesellschaft und Politik, Rassismus klar zu benennen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Dafür spricht übrigens auch die erstmalige Einrichtung einer Beauftragten der Bundesregierung für Antirassismus in 2022, dieses Amt darf ich neben der Integrationsbeauftragten auch ausfüllen.
Der Anteil von Bundestags-Abgeordneten mit Migrationshintergrund stagniert bei rund 11,6 Prozent. Wieso wird Vielfalt in den Parlamenten immer noch so schlecht abgebildet?
Die Stagnation hat mehrere Ursachen, die strukturell, gesellschaftlich und politisch bedingt sind. Zum einen spiegeln sich in den Parteistrukturen noch immer alte Muster wider: Die politischen Netzwerke, die über Kandidaturen entscheiden, sind oft wenig divers und schwer zugänglich für Menschen mit Migrationsgeschichte. Es mangelt an gezielter Nachwuchsförderung, und nicht selten werden migrantische Kandidatinnen und Kandidaten auf sogenannte Integrationsthemen reduziert, statt ihnen die ganze Bandbreite politischer Verantwortung zuzutrauen.
Hinzu kommen Rassismus und Diskriminierung im politischen Raum oder die Tatsache, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund lange Zeit vom Wahlrecht ausgeschlossen waren. Auch ökonomische Faktoren spielen eine Rolle: Wer weniger Ressourcen hat oder Mehrfachbelastungen trägt, kann sich politisches Engagement oft schlicht nicht leisten. Kurz gesagt: Es fehlt nicht an politischem Interesse oder Kompetenz, sondern an struktureller Offenheit und Chancengleichheit. Solange Parteien und Parlamente nicht aktiv an dieser Öffnung arbeiten, bleibt echte Repräsentation ein Versprechen – aber kein gelebter Zustand.
Friedrich Merz hat eine Migrationswende versprochen, Sie haben bereits das geplante Aus des Familienauszugs kritisiert. Welche weiteren migrationspolitische Vorhaben von Schwarz-Rot sehen Sie kritisch?
Ich bin ehrlich: Die harte Gangart im gesamten Bereich der Migrationspolitik ist für die Integration, aber auch für unsere Wirtschaft und Gesellschaft aus meiner Sicht als Integrations- und Antirassismusbeauftragte nicht immer einfach. Wir haben geplant, den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre auszusetzen, auch die Zurückweisungen an den Grenzen ist aktuell ja noch in der Debatte, gleiches gilt für die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten.
In der SPD tragen wir diese Migrationspolitik mit, weil wir jetzt eine verlässliche Regierung brauchen. Wir haben uns verständigt, die Migration zu steuern und sichere, legale Zugangswege zu schaffen – dass das nicht aus den Augen verloren wird, darum werde ich mich kümmern. Kritisch sehe ich vor allen Dingen die verbale Aufrüstung und Entmenschlichung in der Debatte um die Migrationspolitik – am Ende geht es hier um Schicksale von Menschen, die vor Kriegen und Vertreibung fliehen.
Was würden Sie stattdessen in den Fokus rücken?
Ich will, dass wir sehen, wie gut es tatsächlich in vielen Bereichen läuft. Integration gelingt jeden Tag, millionenfach. In die Schlagzeilen schaffen es meist jedoch die Fälle, in denen es nicht gelingt. Ich will die Menschen sichtbarer machen, die unser Land am Laufen halten, und dazu gehören Millionen von Menschen, die selbst oder deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind. Und ich will dazu beitragen, dass Integration vor Ort gut gelingen kann und wir dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.