Bald wieder Streiks? Warum die Tarifgespräche bei der Bahn stocken
IMAGO/Jan Huebner
Der Ton zwischen der Deutschen Bahn und den Vertreter*innen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im aktuellen Tarifstreit wird schärfer. Er sei „höchstgradig irritiert“, sagte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch am Mittwochnachmittag. Man müsse sich die Frage stellen „Was denn noch?“, sagte dagegen sein Gegenüber von der Bahn, Lutz Seiler, nachdem er die dritte Gesprächsrunde für beendet erklärt hatte.
„Ein Affront gegen die Kolleginnen und Kollegen“
Sowohl bei der Gewerkschaft als auch bei der Bahn herrscht Unverständnis über das Verhalten der jeweils anderen Seite. Während Seiler von einem „historischen Angebot“ der Bahn an die EVG und einen „großen Schritt“ spricht, nennt die EVG die vorgeschlagenen Tariferhöhungen eine „Unverschämtheit“ und einen „Affront gegen die Kolleginnen und Kollegen“ – so die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Cosima Ingenschay.
Die Gewerkschafter*innen erzürnt besonders das Vorgehen der Bahn beim Thema Mindestlohn. Knapp 3.000 Beschäftigte erhalten die gesetzlich vorgeschriebenen zwölf Euro bisher nur über Zulagen, weil der Mindestlohn schneller gestiegen ist als die Tariftabellen. Die EVG besteht deshalb darauf, dass die Mitarbeiter*innen zunächst auf zwölf Euro hochgestuft werden, damit sich prozentuale Tariferhöhungen auf den neuen Betrag beziehen. Die Bahn bietet dagegen einen „Bahn-Mindestlohn“ von 13 Euro an – jedoch erst ab August kommenden Jahres und als Teil des Gesamtpakets. Aus Sicht von Cosima Ingeschay ist das „keine Grundlage für eine Verhandlung“.
„Wie ein Eiswürfel in der Wüste“
Auch dass die Bahn zunächst einen steuerfreien Inflationsausgleich von 2850 Euro zahlen will und erst ab dem Frühjahr Tariferhöhungen wirken lassen möchte, lehnt die Gewerkschaftsseite ab. „Das haben wir nicht gefordert und das wollen wir nicht“, sagt Ingenschay. Eine Einmalzahlung sei „wie ein Eiswürfel in der Wüste“ – schnell geschmolzen und verdunstet. Die EVG beharrt auch wegen der deutlich gestiegenen Preise auf einer schnellen prozentualen Erhöhung der Löhne bei einer deutlich geringeren Laufzeit als den von der Bahn angebotenen 27 Monaten.
Wie sehr sich Ton und Misstrauen zwischen Bahn-Führung und Gewerkschaft verschärft haben, macht Kristian Loroch deutlich. Er habe den Eindruck, „dass die Tarifrunde missbraucht wird, um eigenes Versagen in der Konzernspitze zu verdecken“, sagt der EVG-Verhandlungsführer am Mittwoch. Am Donnerstag will der Aufsichtsrat der Bahn zu einer weiteren Sondersitzung zusammenkommen, um über die leistungsbezogenen Vergütungen für den Vorstand, die sogenannten Boni, zu entscheiden. Bahn-Chef Richard Lutz soll laut Geschäftsbericht eine zusätzliche Vergütung von 1,26 Millionen Euro erhalten. Die Arbeitnehmer*innen-Vertreter*innen haben bereits ihren Widerstand angekündigt.
„Die Kolleginnen und Kollegen erwarten eine Reaktion.“
Mit dem Abbruch der dritten Gesprächsrunde steigt auch die Wahrscheinlichkeit erneuter Warnstreiks bei der Bahn. Zwar sagt EVG-Vize Cosima Ingenschay am Mittwoch: „Ein Streik ist jetzt erstmal nicht unser Thema.“ Schließlich ist die DB AG nur einer von rund 50 Verhandlungspartner*innen. Doch Ingenschay macht auch klar: „Bekommen wir keine verhandlungsfähigen Angebote, werden wir natürlich auch streiken.“ Zuletzt hatte am Freitag ein halbtägiger Warnstreik den Bahnverkehr bundesweit lahmgelegt. „Wir werden uns jetzt in Ruhe Gedanken machen“, sagt Verhandlungsführer Kristian Loroch. „Die Kolleginnen und Kollegen erwarten eine Reaktion.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.