Wertegemeinschaft Europa – Doch wie sieht es mit der Gleichheit von Frauen und Männern im Job wirklich aus?
Das Bilderbuch meiner Tochter ist genderkonform: Das kleine Mädchen im Buch kann Polizistin werden, Astronautin, Ärztin oder auch Ballerina – einfach alles, wozu es Lust hat. Im wahren Leben sind ambitionierte Berufswünsche ungleich schwieriger umzusetzen. Statistiken über und Debatten um Chancengleichheit in Deutschland zeigen, wie sehr der berufliche Erfolg vom Bildungshintergrund und – leider immer noch – vom Geschlecht abhängt.
Trotz mehrfacher Aufforderung seitens der Bundesregierung, die Frauenquote in den Chefetagen auf Dauer zu erhöhen, sitzen in Deutschlands Vorständen heute immer noch weniger als drei Prozent Frauen. In Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen sieht es mit 13 Prozent zwar um einiges besser aus. Von einer angestrebten Frauenquote zwischen 30 und 40 Prozent in Führungspositionen ist die Realität jedoch noch weit entfernt.
Nicht verwunderlich also, dass Frauen in Vollzeitbeschäftigung im Durchschnitt fast ein Viertel weniger Bruttogehalt (etwa 23 Prozent) beziehen als männliche Arbeitnehmer. In niedrigeren Positionen lässt sich nun einmal nicht so viel verdienen wie an der Spitze der Deutschen Bank oder der Telekom. Erschreckend dagegen ist, dass Frauen selbst bei gleicher Qualifikation und gleichem Job um die acht Prozent weniger pro Stunde einnehmen als ihre Kollegen, wie eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes ergab. Das ist nicht nur frustrierend, sondern wirkt sich auch auf die spätere Rente aus. Derzeit beziehen Frauen nur 57 Prozent der Versicherungsleistungen von Männern. Häufig liegen bei verheirateten Frauen die Witwenbezüge über der Rente aus der eigenen Erwerbstätigkeit.
Aufs Abstellgleis gedrängt
Der Lohnabstand lässt sich zumindest teilweise damit erklären, dass Frauen statistisch gesehen häufiger Berufe mit niedrigem Einkommen wählen. Der Anteil an Männern in Friseursalons und Kindergärten ist ähnlich gering wie die Frauenquote unter Ingenieuren. Hinzu kommen Babypausen, gegebenenfalls gefolgt von Teilzeitarbeit, wodurch der Einkommensunterschied noch weiter verschärft wird.
Denn sobald Kinder im Spiel sind, kehren viele Paare zur klassischen Rollenverteilung zurück, welche den Mann als Hauptverdiener vorsieht. Doch entgegen dem Vorurteil, Frauen wollten nicht oder nicht mehr als Teilzeit arbeiten, ist die familiäre Aufgabenverteilung nicht selten unfreiwillig: Familienauszeiten enden häufig später als geplant, weil die Kinderbetreuung im Krippenalter immer noch nicht flächendeckend ausgebaut ist. Die Öffnungszeiten zahlreicher Kindertagesstätten lassen zudem eine Vollzeitbeschäftigung gar nicht zu.
Deutschland in Verzug
So weit, so schlecht. Der Vergleich mit europäischen Nachbarn zeigt, dass Deutschland mit seiner niedrigen Frauenquote in Aufsichtsräten nicht allein ist. Der Durchschnitt in Europa liegt bei 12 Prozent. Lediglich Schweden und Finnland heben sich mit immerhin 26 Prozent Frauenanteil bedeutend davon ab. Doch während in Deutschland die Entwicklung stagniert, haben sich selbst Länder wie Spanien, Frankreich und Italien auf eine gesetzliche Quote von über 30 Prozent geeinigt – Länder, denen grundsätzlich Machotum nachgesagt wird. Noch sind die EU-Mitgliedsländer mit Frauenquote in der Minderheit.
Tatsächliches Schlusslicht in Europa bildet Deutschland aber bei der Einkommensdifferenz zwischen Frauen und Männern. Im Vergleich mit den OECD-Ländern liegt Deutschland mit einem Lohnabstand von 23 Prozent auf Platz drei, übertroffen nur von Südkorea und Japan.
Impuls ohne Wirkung
Dabei gehört das Recht auf Gleichbehandlung zu den Grundpfeilern des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Das Recht auf gleiche Bezahlung von Frauen und Männern war bereits in den Römischen Verträgen von 1957 festgeschrieben, denen sich auch Deutschland verpflichtet hat. Seither hat die EU mit diversen Richtlinien die Gleichstellung von Frauen und Männern weiter vorangetrieben.
Vier Richtlinien gegen Diskriminierung, beschlossen zwischen 2000 und 2004, mündeten in Deutschland auf Druck der EU im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das ist jetzt gut fünf Jahre her. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die seitdem über das AGG informiert und Betroffene berät, wertet das Gesetz als einen wichtigen Impuls für die Wirtschaft. Doch weder an dem Lohnabstand noch an dem Frauenanteil in Führungspositionen hat das Gesetz etwas geändert. Hinzu kommt, dass die Strafen bei nachgewiesener Diskriminierung in Deutschland relativ gering ausfallen. Sanktionen können jedoch nur wirken, wenn sie auch wehtun.
Das AGG zeigt: Die rechtlichen Grundlagen sind gegeben, doch es hapert an der Umsetzung. Um die Ungerechtigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu beseitigen, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) deshalb neben einer Frauenquote in Aufsichtsräten einen Mindestlohn sowie ein Gesetz, das Unternehmen verpflichtet, Entgeltungleichheiten zu überprüfen. Sowohl Mindestlohn als auch Frauenquote sind in Deutschland höchst umstritten. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) beharrt auf ihrer so genannten „Flexi-Quote“, einer selbstgesetzten Frauenquote der Unternehmen. Bisheriges Ergebnis: die Autohersteller BMW und VW verpflichten sich auf gerade einmal 15 Prozent bis 2020.
Nachhilfe von der EU?
Die EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte, Viviane Reding, prangert die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern in Deutschland seit Jahren an – bislang ohne Wirkung. Bei der Frauenquote dagegen könnte die EU in der Tat bald nachhelfen. Bis März 2012 hat Reding den Konzernen in den 27 EU-Ländern Zeit für eine freiwillige Selbstverpflichtung gegeben, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Im Gegensatz zu Deutschland hat die EU-Kommission dabei konkrete Ziele festgesteckt: Bis 2015 sollen auf diese Weise mindestens 30 Prozent Frauen in Entscheidungsgremien sitzen, bis 2020 40 Prozent. Sollten Erfolge ausbleiben, werde es für alle EU-Mitgliedstaaten eine gesetzliche Quote geben, kündigte Reding im Herbst 2011 an. Die Frist läuft bald aus. Bleibt zu hoffen, dass entsprechende Beschlüsse auf EU-Ebene mehr bewirken als bisher die „Flexi-Quote“ und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Deutschland.
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.