Jucu / Cluj / Bukarest - "Die Nachricht war wie ein Blitzschlag", erzählt Valentin Ilcas, Vorsitzender von Nokia Metal, eine der Gewerkschaften, die die über 1.800 Beschäftigten vertritt. Der finnische Handy-Konzern, der erst 2008 die Produktion von Bochum nach Jucu in der Nähe von Cluj (Klausenburg) verlagerte, kündigte Ende September an, jetzt auch das Werk in Rumänien zu schließen. Die Arbeit soll nur bis Jahresende weitergehen, danach werden die Mitarbeiter noch drei Monatslöhne erhalten, und dann soll Schluss sein.
Notwendige Optimierung von Produktionsprozessen
In einer Pressemitteilung begründete das Unternehmen den Schritt mit der "notwendigen Optimierung der Produktionsprozesse", die aufgrund der "Nähe zu unseren wichtigsten Zielmärkten"
zukünftig an Standorten in Asien stattfinden sollen. "Das Beispiel Bochum zeigt, dass wir die Grundentscheidung kaum ändern oder verhindern können", gibt Gewerkschafter Ilcas zu. "Das Kapital
profitiert schlicht von seiner Freizügigkeit und geht dahin, wo es günstiger ist", fügt er resigniert hinzu.
Dabei sind die Mitarbeiter im kleinen siebenbürgischen Dorf alles andere als teuer. Nach mehreren Lohnerhöhungen, die der Konzern in den letzten drei Jahren auf Druck der Arbeitnehmervertreter akzeptieren musste, beträgt der Durchschnittslohn bei Nokia aktuell keine 300 Euro: auch für rumänische Verhältnisse eine niedrige Summe, die knapp unter dem nationalen Durchschnitt liegt.
"Das ist einfach ein Skandal, wir waren alle schockiert, als sie dies angekündigt haben", kommentiert Cristian Copil, Vorsitzender der Freien Gewerkschaft Nokia. Der Mann arbeitet selber im Werk, seit der Eröffnung ist er als Techniker für die Verbesserung der Produktionsprozesse in seiner Abteilung verantwortlich. Seine Gewerkschaft vertritt rund 600 Beschäftigte und gehört zum Landesverband CNSLR Fratia, einem der größten in Rumänien.
Eine Million Euro Umsatz pro Arbeitskraft
"Angesichts der schwierigen Situation des Unternehmens haben wir schlechte Nachrichten erwartet, aber nicht die Schließung des Werks. Jeder Beschäftigte hier bringt dem Arbeitgeber rund
eine Million Euro Umsatz im Jahr und kostet weniger als 10.000 Euro", empört sich Copil. Tatsächlich machen die Lohnkosten in Jucu, inklusive Steuer und Sozialabgaben, nur ein Prozent des
Umsatzes aus: Ein Verhältnis, das sich auch in Asien kaum unterbieten lässt, so sagen Marktexperten.
Der Hauptgrund für die Entscheidung von Nokia liegt also nicht darin, dass rumänische Arbeiter zu teuer geworden seien. Vielmehr waren es die unternehmerische Strategie und insbesondere die Fehleinschätzung der zukünftigen Marktentwicklungen, die eine Schrumpfung des globalen Marktanteils von Nokia verursachten. Die Investition in das Werk von Jucu, die laut Angaben des Konzerns 60 Millionen Euro betrug, hat sich nichtdestotrotz innerhalb von nur drei Jahren amortisiert.
Seit Anfang Oktober verhandeln die beiden Gewerkschaften mit den Vertretern des Unternehmens in der Hoffnung auf angemessene Kündigungsbedingungen. "Drei Monatslöhne Entschädigung ist ein schlechter Witz", sagt Bogdan Hossu, Vorsitzender des Gewerkschaftsverbandes Cartel Alfa, jener Schirmorganisation auf Nationalebene, bei der auch Nokia Metal Mitglied ist. "Unsere deutschen Kollegen in Bochum haben nach Verhandlungen eine anständige Entschädigung bekommen, dies war aber nur möglich, weil sie mit der Unterstützung der Regierung rechnen konnten, was bei uns nicht der Fall ist", erklärt Hossu.
Kahlschlag gegen soziale Rechte
Tatsächlich stehen die Chancen der Arbeitnehmer schlecht, denn im Frühjahr hat die Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Emil Boc das rumänische Arbeitsrecht an entscheidenden
Stellen gelockert, um das von der Wirtschaftskrise schwer getroffene Land attraktiver für ausländische Investoren zu machen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, in solchen Fällen überhaupt
Verhandlungen mit den Gewerkschaften aufzunehmen, ist in der neuen Version des Gesetzeswerks nicht mehr enthalten.
"Der Sozialstaat ist gescheitert, und zwar nicht nur in Rumänien, sondern auch in Westeuropa, obwohl viele Politiker dort dies noch nicht einsehen", erklärte unlängst Staatspräsident Traian Basescu, als er ineinem Interview den Kurs seiner Regierung verteidigen wollte. "Unter dem Vorwand von notwendigen Reformen und Sparmaßnahmen ist der Regierung ein Kahlschlag gegen die Sozialrechte gelungen", kommentiert Victor Ponta, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei PSD.
Staatsgelder für große Konzerne
Der Skandal um die EU-Subventionen, die Nokia in Bochum kassiert haben soll, hat ein rumänisches Pendant. Im Moment spekulieren die Medien in Bukarest über die genauen Bedingungen, unter denen der Konzern sein Werk in Siebenbürgen 2008 eröffnet hat. Die Lokalbehörden in Cluj unterstützten 2007 massiv die Gründung des Industrieparks in Jucu, wo Nokia kurz darauf als erster und eine Zeit lang einziger Investor einzog. Der Landkreis Cluj hat der Zweckgesellschaft Tetarom das Grundstück (160 Hektar) kostenlos zur Verfügung gestellt und rund 30 Millionen Euro für die Erschließung des Geländes ausgegeben.
Die EU-Kommission hat zu dem Zeitpunkt Ermittlungen aufgenommen, doch bis heute ergebnislos. Sämtliche Verträge zwischen dem Unternehmen und der Landkreisverwaltung wurden von Anfang an als "vertraulich" eingestuft. Dank einer vagen Formulierung im Gesetzestext werden die meisten wichtigen Verträge mit Schlüsselinvestoren geheim gehalten, auch wenn öffentliche Gelder fließen. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in Bukarest versuchen seit Jahren die Situation zu ändern, bisher nur mit mäßigem Erfolg.