Inland

Arbeitnehmer sorgen sich

von Ursula Engelen-Kefer · 2. Mai 2011
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Dies gilt für die Staaten, die seit 2004 Mitglieder in der Europäischen Gemeinschaft sind: Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien sowie die baltischen Länder Litauen, Lettland und Estland. Die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien, die erst 2007 die Mitgliedschaft in der Europäischen Union erworben haben, kann bis 2014 aufgeschoben werden. Damit ist eine weitere wichtige Etappe für die Integration der Europäischen Union erreicht. Deutschland und Österreich hatten sich wegen der unmittelbaren Grenznähe zu Osteuropa für den längst möglichen Aufschub bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit entschieden. In den übrigen Mitgliedsländern der EU ist sie bereits seit Jahren eingeführt.

Zuwanderung von 100 000 bis 150 000 Arbeitnehmern erwartet
Von der Wirtschaft wird dieser weitere Schritt bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit mit großer Zustimmung bis Jubel begleitet. Erwartet wird ein Beitrag zu Behebung der Fachkräftelücke. Umgekehrt haben Arbeitnehmer Sorgen um ihre Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen. Nach regierungsamtlichen Schätzungen wird mit einer Zuwanderung von 100 000 bis 150 000 Arbeitnehmern gerechnet. Das Institut der Deutschen Wirtschaft erwartet allerdings in den ersten beiden Jahren mit 800 000 Menschen einen erheblich höheren Zugang in den Arbeitsmarkt. Nach Befragungen glaubt nur ein Fünftel der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, dass die eigenen Arbeitsplätze von der erweiterten Freizügigkeit unberührt bleiben. Im Umkehrschluss heißt dies: Die große Mehrheit der Arbeitnehmer befürchtet negative Auswirkungen für ihre Beschäftigung.

Die Gewerkschaften haben mit einem gewaltigen Kraftaufwand wesentliche rechtliche Rahmenbedingungen in der EU zur sozialen Gestaltung der Freizügigkeit durchsetzen können. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Entsenderichtlinie als Grundlage für tarifliche Mindestlöhne, die Dienstleistungsrichtlinie gegen Lohn- und Sozialdumping, die Europäische Betriebsräterichtlinie zur Verhinderung der Aushöhlung der Betriebsverfassung und zuletzt die Richtlinie zum Schutz der Leiharbeitnehmer. Trotzdem bleiben noch zu viele offene Flanken für die Gefährdung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen.

Entscheidend trägt dazu bei, dass die schwarz-gelbe Regierungskoalition bei der Einführung tariflicher Mindestlöhne nach wie vor hohe Blockaden aufbaut und sich gegen die Einführung des vom DGB geforderten einheitlichen gesetzlichen Mindestlohnes nicht unter 8, 50 Euro in der Stunde hartnäckig verweigert. Auf Dauer wird eine EU der Wirtschafts- und Finanzinteressen keinen Bestand haben. Dies hat angesichts der gigantischen finanziellen Verpflichtungen der deutschen Steuerzahler aus den EU Rettungsschirmen für überschuldete Euroländer eine zunehmende Bedeutung für die Zukunft nicht nur des Euro, sondern der Europäischen Integration insgesamt.

Gesetzlicher Mindestlohn notwendig
Erforderlich ist ein Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, insbesondere: Verbesserung von Quantität, Qualität sowie Chancengerechtigkeit in Bildung und Ausbildung; Weiterbildung für Zukunftsberufe; Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen, Älteren, Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund. Die berechtigten Ängste vieler Arbeitnehmer vor der erweiterten Freizügigkeit können nur dann aufgehalten werden, wenn die Ausbreitung von Niedriglohnsektoren und Armut gestoppt wird.

Unabdingbar hierfür ist der umgehende Abbau politischer Blockaden in der Bundesregierung gegenüber der Einführung weiterer tariflicher Mindestlöhne. Ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8, 50 Euro in der Stunde muss gesetzlich zu verankert werden. Für die Leiharbeitnehmer mit besonders starker Gefährdung durch Lohn- und Sozialdumping sind umgehend die vom DGB durchgesetzten tariflichen Mindestlöhne gesetzlich zu verankern. Darüber hinaus muss das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" ohne Ausnahmen endlich durchgesetzt werden.

Auch ist die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen wieder auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes zurückzuführen. Der soziale Skandal von inzwischen 7,3 Millionen geringfügigen Teilzeitarbeitsverhältnissen (400-Euro Jobs), häufig mit Armutslöhnen und ohne Sozialversicherung für die betroffenen Arbeitnehmer, muss gesetzlich beendet werden. Der im Rahmen des Sparpaketes der Bundesregierung bis 2014 beschlossene Kahlschlag bei der Arbeitsmarktpolitik mit einem Gesamtvolumen von 16 Mrd. Euro ist aufzuheben.

In Großbritannien, Irland und Schweden wurde der Arbeitsmarkt für ArbeitsmigrantInnen bereits im Mai 2004 geöffnet. Zwei Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung e.V., Abteilung Internationaler Dialog, analysieren die öffentliche Zuwanderungsdebatte in Großbritannien und Irland, die Auswirkungen der Migration auf den Arbeitsmarkt, das Sozialsystem sowie auf Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Gewerkschaften und ihrem Umgang mit dem neuen Potential an Arbeitskräften und Mitgliedern. Gerard Hughes: Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Der Fall Irland.
http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=08042&ty=pdf

Nick Clark und Jane Hardy: Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Der Fall Großbritannien
http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=08040&ty=pdf

Autor*in
Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.

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