Inland

Arbeit 4.0: So wird der Arbeitsplatz zum Demokratielabor

Sobald wir arbeiten, sind unsere demokratischen Grundrechte bestenfalls noch auf dem Papier gültig. Selbstbestimmung wird zum verrückten Traum, über den die meisten Firmenbosse lachen. Dabei könnte die Arbeitswelt zum Demokratielabor für das ganze Land werden.
von Andreas Zeuch · 3. Februar 2016

In Anbetracht der aktuellen politischen Herausforderungen ist eine Bemerkung des Professors Bernhard Mark-Ungericht vom Institut für internationales Management der Universität Graz bedenkenswert: „Wie soll sich eine demokratische Gesellschaft entwickeln, wenn die Ökonomie als Definitionszentrum heutiger Gesellschaft undemo­kratisch organisiert ist?“

Die halbierte Demokratie

Einerseits ist es erfreulich, dass von der Generation der Babyboomer (1955 bis 1969) bis hin zu den zurzeit vieldiskutierten Generationen Y (1980 bis 1999) oder Z (1995 bis 2010) niemand ein totalitäres System erleben musste. Andererseits sind die Vertreter dieser Generationen in der scheinbaren Selbstverständlichkeit einer demokratischen Gesellschaft aufgewachsen. Es ist, vor allem für die Generationen Y und Z, längst kein gefühltes Privileg, kein Glück, keine Gnade, in einer Demokratie mit all ihren Vorzügen leben zu dürfen. Da geschieht es schnell, dass der Wert der Demokratie im täglichen Sein und Handeln vergessen wird. Was indes all diesen Generationen gemeinsam ist: Sie müssen arbeiten gehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Vielleicht keine volle Stelle fünf Tage die Woche, Monat für Monat, aber doch regelmäßig.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, warum wir in einer „halbierten Demokratie“ leben? Denn sobald wir arbeiten, sind unsere demokratischen Grundrechte bestenfalls noch auf dem Papier gültig, aber nicht mehr in der Welt täglicher Konsequenzen. Meinungsfreiheit ist eher ein schlechter Treppenwitz und Selbstbestimmung ein verrückter Traum, über den neoliberale Ökonomen ebenso gackern, wie die meisten Inhaber mittelständischer Unternehmen und Top-Manager internationaler Konzerne.

Der Arbeitsplatz als Demokratieraum

Und genau deshalb bietet sich ein überraschender Dreh an: Arbeit könnte zum Demokratielabor werden. In meinem aktuellen Buch „Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ schreibe ich: „Wenn wir Demokratie wirklich wollen, wenn wir gesamtgesell­schaftlich keine … Tyrannei oder Oligarchie wünschen, dann bietet sich die Möglichkeit, unser tägliches Schaffen endlich de­mokratisch zu gestalten – und auf diesem Weg Demokratie … weiterzuentwickeln. Es ist … offensichtlich, dass genau der Lebensbereich, in dem wir fast alle täglich eingebunden sind, ein großartiges Feld ist, um Demokratie neu zu beleben. Wir ar­beiten 30 bis 40 Jahre, meist zwischen 20 und 40 Wochenstunden. Das bietet Tausende Alltagsmöglichkeiten. Lebenslanges Lernen kann hier einen gesamtgesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gleichzeitig in­dividuellen Nutzen entfalten.“

Es geht dabei um vier verschiedene Lern- und Erfahrungsräume:

  1. Demokratie neu (oder überhaupt) verstehen
  2. Demokratische Selbsterfahrung sammeln
  3. Demokratische Selbstwirksamkeit entdecken
  4. Zentrale Bereiche des eigenen Lebens demokratisch mitgestalten

Nicht nur eine abstruse Idee

Bislang hörte ich immer wieder, Unternehmen seien keine demokratische Veranstaltung. Das ist als Beschreibung der momentanen Wirklichkeit korrekt. Aber keineswegs als normatives Gebot. Denn erstens ist es nicht einzusehen, warum unsere demokratischen Werte und Regeln während der Arbeit nicht mehr gelten sollten und zweitens bietet die Demokratisierung der Arbeit eine hervorragende Möglichkeit, auch unsere gesellschaftliche Demokratie weiterzuentwickeln.

Dass dies nicht nur eine abstruse Idee ist, belegen verschiedene empirische Studien seit den 1980ern. Es zeigten sich erstens vielfältige Vorteile weitreichender Mitbestimmung und Partizipation in den Unternehmen selbst: Höhere Solidarität und Hilfebereitschaft der Belegschaft untereinander sowie eine verbesserte emotionale Bindung an den Arbeitgeber. Zweitens wurde immer wieder der „Spill-over-Effekt“ in die Gesellschaft gezeigt: MitarbeiterInnen übernehmen mehr soziale Verantwortung, zeigen mehr demokratisches und soziales Engagement und verfügen über eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich einer gerechten Welt.

Die Demokratisierung der Arbeit, als begleitende soziale Innovation einer neuen Arbeitswelt 4.0, hat tatsächlich einen positiven Effekt auf unsere Demokratie. Worauf warten wir noch?

node:vw-infobox

Autor*in
Avatar
Andreas Zeuch

begleitet und unterstützt seit 2003 als selbstständiger Berater, Trainer, Coach und Autor Organisationen. Sein Schwerpunkt ist „Unternehmensdemokratie“. Zeuch erlangte seinen Doktorgrad „Dr. rer. soc.“ 2003 mit seiner Dissertation zum Training professioneller Intuition. Er ist zertifizierter Dialog-Begleiter, NLP-Trainer und hat diverse Aus- und Weiterbildungen zu Systemischer Beratung, Organisationsaufstellung und Projektmanagement abgeschlossen.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare