Die Wertung der arabischen Revolutionen als Fanal eines unmittelbaren Aufbruchs zur Demokratie gemäß westlichen Vorstellungen zeugte von Unkenntnis unserer eigenen Geschichte und jener der arabischen Länder.
Revolutionen haben einen langen Atem. Bis sich die Demokratie in Deutschland endgültig durchsetzte, dauerte es von 1848 bis 1949. Anzunehmen, die neuen autoritären, religiösen Kräfte in Arabien würden das Feld den Befürwortern der Menschenrechte und der bürgerlichen Freiheiten überlassen, ist naiv – obgleich zweifellos Bürgerrechtler zu den Initiatoren des Aufstandes gehörten. Das gilt vor allem für Ägypten, das bevölkerungsreichste arabische Land.
Die entscheidenden Oppositionskräfte gegen die von West und Ost gehätschelten Militär-, Partei- und Geheimdienstdiktaturen waren Islamisten. In Ägypten und Nordafrika die sunnitischen Moslembrüder. Sie gewannen die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit, weil die herrschenden Diktaturen korrupt waren, sich wenig um die Bildung, die Gesundheit, kurz, die Lebensumstände der Menschen kümmerten. Diese Aufgaben übernahmen die Islamisten, die ihr soziales Netzwerk mit religiöser Indoktrination verbanden.
Die Islamisten waren Trittbrettfahrer der Arabellion. Doch als der Sturz der Diktaturen vollzogen war, gelang es ihnen allenthalben, bei Wahlen die Stimmenmehrheit zu erringen. In Ägypten etwa 70 Prozent. Aber Siege in demokratischen Wahlen verheißen nicht automatisch demokratische Gesinnung. So erklärte der türkische Ministerpräsident Erdogan: „Die Demokratie ist nur der Zug, den wir benutzen, bis wir am Ziel sind.“
Doch zur Demokratie gehört der Machtwechsel. Und hier sind Zweifel bei den Islamisten angebracht. Der Islam kennt keine Trennung von Staat und Religion. Alle Religionen sind per se intolerant. Denn religiöse Bücher scheren sich nicht um demokratische Werte. Äußerungen von Islamisten deuten auf eine Kriegsbereitschaft gegen Israel hin.
Auch in Israel und den Vereinigten Staaten nimmt der Einfluss der Religiösen zu. Doch dort machen sie nur ein Viertel der Wähler aus und die demokratischen Institutionen sind gefestigt. Im Nahen Osten dagegen drohen neue Konflikte, die von religiösen Eiferern befeuert werden.
ist ein deutsch-israelischer Schriftsteller, Publizist, Politologe und Zeithistoriker.