Inland

#angekommen: Warum die SPD keine deutsche „Leitkultur“ will

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Trotzdem wurde in der Politik das Thema Migration lange vernachlässigt. Eine Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung will das ändern – und einen Kulturkampf in Deutschland verhindern.
von Paul Starzmann · 7. März 2017
Aydan Özoguz

„Ja, ich bin angekommen in Deutschland“, sagt Mohammed Sulati und blickt ins Publikum. „Und das sage ich aus ganzem Herzen.“ Der junge Mann aus Guinea lebt seit 2008 in der Bundesrepublik. Als Minderjähriger kam er nach Deutschland, ohne Eltern. Die ersten Jahre verbrachte er im Kinderheim. Jetzt sitzt der Student auf einer Bühne der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin und erzählt von seinen Erfahrungen. Dass er an diesem Montag zum Auftakt des FES-„Integrationskongresses“ spricht, sei ein Beweis, dass die Migrationsgesellschaft funktioniere, sagt er.

Viele wollen keine Einwanderungsgesellschaft

Dass die Einwanderungsgesellschaft längst Realität ist, das weiß auch Aydan Özoğuz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Trotzdem seien viele nicht bereit, das zu akzeptieren. „Manche wollen das mit der Einwanderungsgesellschaft einfach nicht“, sagt sie. Dabei sei eine Einwanderungsdebatte „längst überfällig“, wie der Nürnberger SPD-Oberbürgermeister Ulrich Maly ergänzt.

Aus diesen Grund diskutierten rund 1000 Menschen beim FES-„Integrationskongress“ die unterschiedlichen Aspekte der Migrationspolitik – von  Bildungsfragen über den Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylbewerber bis hin zum Kampf gegen Rassismus. Im Mittelpunkt stand bei dem Kongress, welche Wege das Einwanderungsland Deutschland in Zukunft gehen wird.

Kein Kulturkampf in Deutschland

In der Einwanderungsdebatte spiele die FES eine Vorreiterrolle, lobte Aydan Özoğuz. Unter dem Titel „Miteinander in Vielfalt“ habe die Stiftung ein „Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft“ entwickelt – einen bewussten Gegenentwurf zur streng definierten „deutschen Leitkultur“, wie sie der CDU-Politiker Friedrich Merz schon vor einigen Jahren propagierte. Der Unterschied zwischen dem Leitbild der FES und den Ideen der Konservativen könnte größer kaum sein: „Wir wollen mit unserem Leitbild eben keinen Kulturkampf“, versicherte Özoğuz. Für sie und die FES sei Einwanderung gesellschaftliche Normalität, eine Bereicherung für das Land. Es sei offensichtlich, dass etwa das deutsche Sozialsystem unter der Einwanderung keineswegs leide, „sondern profitiert hat durch Migration“.

Anscheinend komme diese Erkenntnis – wenn auch sehr langsam – mittlerweile sogar in der Union an: In Deutschland habe mit dem Sommer 2015 und der deutschen „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen ein Umdenken stattgefunden, bilanziert Özoğuz – das gelte in Teilen auch für die CDU. Früher habe der Bundestag noch über die Kürzung der Gelder für Sprachkurse debattiert. Heute gehe es um den Ausbau von solchen Angeboten. Auch sei beinahe vergessen, dass „wir früher ein Verbot ausgesprochen haben“, wenn es um Arbeitsgenehmigungen für Migranten ging. „Ein Verbot!“, wiederholt Özoğuz – weil solche Überlegungen in der Politik inzwischen kaum noch vorstellbar sind.

Seit 2015 habe die SPD eine Reihe von Maßnahmen in der Bundesregierung durchgesetzt, die Geflüchteten mehr Teilhabe in der Gesellschaft ermöglichen sollen, so Özoğuz. Dass diese nicht ausreichen werden, ist der Integrationsbeauftragten allerdings bewusst. Deswegen müsse die Politik an dem Thema dran bleiben – auch mit Veranstaltungen wie dem „Integrationskongress“ der Ebert-Stiftung. Denn in der Migrationsdebatte sei vor allem eins wichtig, findet Aydan Özoğuz: den Menschen „die Einwanderungsgesellschaft zu erklären“.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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