Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn kommt: Heute hat das Bundeskabinett dem Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zugestimmt. Im vorwärts-Interview erläutert Nahles die Pläne.
Sie haben den flächendeckenden Mindestlohn als Gesetz auf den Weg gebracht. Sind Sie zufrieden mit sich?
Zufrieden bin ich, wenn es ein gutes Gesetz geworden ist und alle Hürden passiert hat. Ich will es noch vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Der Kabinettsbeschluss ist natürlich eine wichtige Etappe. Die Botschaft ist klar: Wir halten Wort. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn kommt. Das ist eine Lohnerhöhung für fast vier Millionen Menschen. Und es ist auch ein Riesenerfolg für die SPD.
Unter 18-Jährige ohne Ausbildung sind nach Ihrem Vorschlag vom Mindestlohn ausgenommen. Über die Altersgrenze wurde viel diskutiert. Wie begründen Sie die 18?
Mit 18 Jahren sind Menschen volljährig. Jugendlichen unter 18 gewähren wir mit dem Jugendschutzgesetz einen besonderen Schutz, damit sie noch nicht so hart arbeiten müssen wie Erwachsene und sich auf Schule und Ausbildung konzentrieren können. Deshalb wollen wir auch nicht, dass Helferjobs mit 8,50 Euro pro Stunde attraktiver sind als eine Lehre oder ein Studium.
Langzeitarbeitslose sollen bis zu sechs Monate niedriger entlohnt werden können. Was versprechen Sie sich davon?
Es geht um eine Gruppe, die große Probleme haben, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. Wir wollen, dass Menschen nach vielen Jahren der Arbeitslosigkeit einfach wieder Tritt fassen. Und wenn sie den Einstieg geschafft haben, bekommen natürlich auch sie den Mindestlohn oder mehr.
Ausnahmen für ganze Branchen haben Sie abgewehrt. Wirtschaftsverbände kritisieren, Löhne in Höhe von 8,50 Euro die Stunde für Zeitungsausträger oder Erntehelfer seien nicht bezahlbar.
Zunächst glaube ich, dass ein Geschäftsmodell nicht gut ist, das auf Dauer darauf setzt, dass die Menschen weniger als 8,50 Euro verdienen. In personenintensiven Bereichen wie zum Beispiel Callcentern konnte man immer noch mit 50 Cent weniger vielleicht den anderen Konkurrenten aus dem Rennen schlagen. Das wird in Zukunft so nicht mehr möglich sein.
Aber wir geben einzelnen Branchen auch Zeit zur Umstellung. Wer heute noch keinen Mindestlohn bezahlt, aber jetzt bereit ist in Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu treten und einen ordentlichen Tarifvertrag abzuschließen, der hat bis Ende 2016 Zeit seine Bezahlung an den Mindestlohn anzupassen. Das stärkt die Tarifpartnerschaft in Deutschland und damit auch unsere soziale Marktwirtschaft.
Wird dieses Angebot angenommen?
Die Fleischindustrie – eine sehr schwierige Branche – hat jetzt genau so einen Tarifvertrag gemacht. Wir kriegen passgenaue Lösungen für alle Branchen hin.
Ähnlich wie in Großbritannien soll eine Kommission über Anhebungen des Mindestlohns beraten. Welches Gewicht hat diese Entscheidung?
Großes Gewicht, denn die Kommission wird unabhängig von der Politik sein. Sie besteht aus je drei Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zwei wissenschaftlichen Beratern sowie einem Vorsitzenden. Vorschläge der Kommission für oder gegen eine Anpassung können von der Regierung nur per Rechtsverordnung in Kraft gesetzt werden. Ändern kann die Politik diese Vorschläge nicht.
Wie soll die Umsetzung des Mindestlohns überprüft werden?
Wir haben mit dem Bundesfinanzministerium verabredet, dass wir zusätzliche Stellen beim Zoll – der Aufsichtsbehörde für den Mindestlohn – schaffen, die die Umsetzung des Mindestlohnes kontrollieren sollen. Und es wird eine Hotline geben, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer Verstöße melden können.
Was passiert einer Firma, die sich nicht dran hält?
Es wird Bußgelder und andere Sanktionen geben, etwa mehrjährige Sperrfristen für öffentliche Aufträge. Gleiches gilt, wenn etwa der Lohn nicht ordnungsgemäß ausbezahlt wird. Denn häufig ist es so, dass in den kritischen Branchen nicht nur Dumpinglöhne gezahlt werden, sondern die Leute manchmal überhaupt kein Geld für ihre Arbeit bekommen, vor allem ausländische Arbeitnehmer sind davon betroffen.
Bei der Rente mit 63 hört die Kritik in der Union nicht auf. Geht die Rente mit 63 abschlagsfrei durch?
Die Rente mit 63 wird kommen. Und das ist gut so. Sie ist Wertschätzung und Anerkennung für diejenigen, die durch harte Arbeit 45 Jahre und mehr unsere Sozialsysteme auf ihren Schultern getragen haben. Sie ist genauso verabredet wie die Mütterrente oder der Mindestlohn. Da gibt es keinen Zweifel. Das waren auch keine Randpunkte in der Verhandlung, sondern ganz zentrale Verabredungen. Und ich habe das 1:1 umgesetzt. In der Union gibt es vor allem ideologische Vorbehalte. Man will das nicht. Das haben wir aber – mit Verlaub – in der eigenen Partei bei der Finanzierung der Mütterrente auch: Viele haben Bauchschmerzen, diese aus Beiträgen und nicht aus Steuern zu finanzieren.
Wenn die Union bei der Rente mit 63 nicht mitspielt wie vereinbart, wird die SPD zucken bei der Mütterrente?
Es gibt kein Entweder-Oder, es gibt nur beides.