Altenpflege: Wettbewerb um beste Qualität, nicht um geringste Löhne
Thomas Trutschel/photothek.net
Um zu verstehen, warum eine allgemeinverbindliche tarifliche Bezahlung in der Altenpflege so wichtig ist, braucht es ein Verständnis des Systems dahinter. Wie also kommen überhaupt die geringen Löhne zustande? In der Altenpflege entstehen rund 80 Prozent der Kosten aus dem Personal, weshalb jeder finanzielle Druck im System direkt für die Beschäftigten spürbar ist. Mit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 nahm die Abwärtsspirale bei den Löhnen ihren Anfang. Die erste große Änderung war, dass die Vergütung von Leistungen strenger Wirtschaftlichkeit unterstellt wurde. Zusätzlich wurde der Wettbewerb befeuert, indem der Markt für private, gewinnorientierte Anbieter geöffnet wurde.
Wettbewerb um geringste Löhne stoppen
Im Ergebnis konkurrieren seither gemeinnützige mit privaten, gewinnorientierten Pflegeanbietern um die Angebote der Kostenträger. Zwar kann dieser Wettbewerb die öffentlichen Haushalte entlasten und die Wahlfreiheit für den Kunden erhöhen. Es wurde jedoch bisher vom Gesetzgeber verpasst, die Beschäftigten in diesem personalintensiven Bereich ausreichend zu schützen. Denn seitdem wetteifern viele Pflegeanbieter oft zulasten der Beschäftigten um die Aufträge. Weil die Tariflandschaft in diesem Bereich zerklüftet ist, können die Preise für die Leistungen gedrückt werden. Hinzu kommt, dass die zuständige Gewerkschaft ver.di hier einen geringen Organisationsgrad aufweist. Es ist jetzt Aufgabe der CDU/CSU und SPD, diese Abwärtsspirale bei den Löhnen zu stoppen.
Das kann nur gelingen, wenn Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. So würden alle Anbieter verpflichtet, einheitlich nach Tarif zu zahlen. Es gäbe einen Wettbewerb um die beste Qualität und nicht um die geringsten Löhne. Zurzeit sind es insbesondere private, gewinnorientierte Anbieter, die ihre Führungskräfte zwar sehr gut bezahlen, dafür aber bei den Pflege- und Hilfskräften kräftig einsparen. Umso erfreulicher ist es, dass die neue Regierung laut Koalitionsvertrag nun „die gesetzlichen Voraussetzungen“ für flächendeckende Tarifverträge in der Altenpflege schaffen will.
Tarifverträge wären Meilenstein in der Altenpflege
Und dennoch ist der Weg dorthin kein Selbstläufer, sondern es Bedarf den unbedingten Willen der regierenden Parteien. Sie müssen dafür sorgen, dass sowohl kirchliche als auch weltliche Tarifabschlüsse der gemeinnützigen Anbieter als Grundlage für die Anerkennung der Allgemeinverbindlichkeit gelten können. Das ist bisher noch nicht der Fall.
Außerdem braucht es zur Anerkennung der Allgemeinverbindlichkeit in einer Branche immer die Zustimmung des sogenannten Tarifausschuss. Seine Zusammensetzung verhindert derzeit noch die nötige Mehrheit. Der Grund dafür ist, dass die gemeinnützigen Arbeitgeber der Sozialwirtschaft in diesem Gremium keine Stimme haben. Folglich entsteht derzeit immer eine Patt-Situation zwischen den Gewerkschaften und privaten, gewinnorientierten Arbeitgeberverbänden im Tarifausschuss. Erst wenn die gemeinnützigen Arbeitgeber auch als Arbeitgebervertreter anerkannt werden und stimmberechtigt sind, können sie gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Mehrheit für flächendeckende Tarifverträge in der Altenpflege erzielen.
Trotz aller Hürden ist klar: Gelingt es der Regierung, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, dass „Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung“ kommen, ist ein Meilenstein zur Verbesserung der Löhne erreicht. Die gemeinnützigen Anbieter und die Gewerkschaften machen sich für diesen Weg stark. Die Regierung sollte ihnen folgen.
ist Diplom-Soziologe und arbeitet seit 1978 bei der AWO. Seit 2010 ist er Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt und Geschäftsführer der ElternService AWO GmbH.