AfD: Eine Partei verstößt ihren Gründer
Der Parteitag läuft noch keine zehn Minuten, da kann Bernd Lucke erstmals spüren, dass der Tag für ihn kein guter werden wird. Sein zu diesem Zeitpunkt noch Co-Sprecher Konrad Adam steht zur Begrüßung der Delegierten in der Essener Gruga-Halle am Mikrofon und leitet das Scherbengericht ein – wohl formuliert, wie man es von einem Ex-FAZ-Redakteur erwarten darf. „Der Selbstgerechte hält sich gern für einen guten Hirten“, sagt Adam und fährt fort, dagegen sei ja wenig einzuwenden, „wenn das nicht mit dem Anspruch verbunden wäre, den Rest der Welt für Schafe zu halten“.
AfD-Mitglieder wenden sich vom Gründer ihrer Partei ab
Den Namen Lucke muss er nicht nennen. Die Mehrheit im Saal versteht, wer gemeint ist, und jubelt. Auch als Adam fortfährt, Hans-Olaf Henkel ins Visier nimmt und gegen „Glücksritter“ lästert, „die glauben, sich eine Partei kaufen zu können“. Ein paar Minuten später steht Lucke selbst am Rednerpult. Pfiffe und Buhrufe schallen ihm entgegen. Delegierte schwenken ihre roten Stimmkarten: Platzverweis für den Mann, der zwei Jahre lang das Gesicht der Partei war.
Nicht wenige im Saal treibt die blanke Lust an der Demontage und Demütigung des Mannes, an dessen Lippen sie so lange hingen. Wiederholt müssen die Versammlungsleiter eingreifen, damit Lucke seinen Rechenschaftsbericht überhaupt vortragen kann, ihm helfen, dass er sich gegen Pfiffe und Gejohle im Publikum durchsetzen kann. Fast wirkt es, als fände Pegida an diesem Tag im Saale statt.
Atmosphäre zwischen Tribunal und Fankurve
Das Kind AfD – sein Kind, wie Lucke immer gedacht hat – ist ihm über den Kopf gewachsen. Es zeigt ein Gesicht, das Lucke nicht behagt, an dem er aber kräftig mitmodelliert hat. Es ist ja keine feindliche Übernahme, die sich in der AfD vollzieht. Gemeinsam mit den Petrys und Gaulands, die nun die Strippen ziehen, hat Bernd Lucke die Partei einst gegründet. Mit Sprüchen über Deutschland als Sozialamt der Welt, über „Entartungen“ der Demokratie oder homophoben Äußerungen hat er denen, die ihn nun ausbuhen, lange signalisiert, dass sie in der AfD gut aufgehoben sind.
Im Saal herrscht eine Atmosphäre irgendwo zwischen Tribunal und Fankurve. Erst recht, als das mit Spannung erwartete Wahlergebnis feststeht und mit einem Jubelorkan gefeiert wird: 61 Prozent für Petry, nur 39 für Lucke. Es ist dies auch das komplette Scheitern des „Weckrufs“, jenes Vereins, den Lucke mit einigen Getreuen gegründet hatte, angeblich, um gemäßigte Mitglieder in der Partei zu halten. In der AfD freilich wurde der Verein weithin als Keimzelle einer neuen Lucke-Partei verstanden. Immer neue Erfolgsmeldungen hatte der Verein produziert – zuletzt war von 5000 Unterstützern die Rede. Neue Strategien und taktische Winkelzüge für den Parteitag wurden erdacht.
Vorstandsmitglieder an der „Neuen Rechten“ orientiert
Am Ende erweist sich die „Weckruf“-Gruppe in Essen als Papiertiger, der den Lucke-Gegnern hoffnungslos unterlegen ist. Maximal ein Drittel, eher nur ein Viertel der erschienenen Mitglieder gehören zu den Unterstützern von Luckes Verein. Eine Unterschrift im Internet abzugeben ist das eine – mühsam Mehrheiten in einer Partei zu organisieren etwas ganz anderes.
In der AfD führen nun andere Regie. Drei Gruppen bilden die neue Mehrheit, wobei die Übergänge oft fließend sind. Vorneweg das Lager um Petry, Gauland und dem immer mächtiger gewordenen NRW-Landeschef Marcus Pretzell, das für rechtspopulistische Töne sorgt. Gauland treibt die späte Rache an einer CDU, die ihn, den Konservativen, parteipolitisch heimatlos werden ließ, als sie sich zu modernisieren begann. Was Petry und Pretzell abgesehen von persönlichem Ehrgeiz im Innersten treibt, weiß man nicht so recht. Rechts von ihnen steht ein radikaleres Lager. An der „Neuen Rechten“ ist es orientiert und klingt nicht selten völkisch-nationalistisch. Höcke, der in Essen auf eine Kandidatur verzichtet, gehört dazu, aber auch das neue Bundesvorstandsmitglied Andre Poggenburg oder gewichtige Teile der „Jungen Alternative“, die nun mit Julius Flak im Vorstand vertreten ist.
Das für Petry derzeit taktisch und strategisch wichtigste Lager ist das der so genannten „Liberalen“, wie sie im AfD-internen Sprachgebrauch genannt werden, der aus Konservativen „Liberale“ und aus Reaktionären „Konservative“ werden lässt. Inhaltlich sind sie nicht weit von Lucke entfernt. Teils aus Opportunismus, teils aber auch aus Enttäuschung über ihren ehemaligen Vormann machen sie nun mit Petry gemeinsame Sache. Prominentester AfD-„Liberaler“ ist nun Prof. Jörg Meuthen, Petrys neuer Ko-Sprecher. Ob diese Gruppe mehr ist als nur ein Feigenblatt, muss sich erst zeigen.
Europa als „linksradikales“ Projekt
Beim Essener Parteitag jedenfalls sind „liberale“ Themen nicht sonderlich gefragt. Begeisterung kommt stattdessen stets dann auf, wenn es um eine schärfere Asyl- und Zuwanderungspolitik geht, um die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und den Kampf gegen Kriminalität, oder um das, was in der AfD für eine „aktive Bevölkerungspolitik“ gehalten wird. Die Grenze zum Obskuren und zum Rechtsradikalen sind fließend, bürgerliche Umgangsformen verzichtbar.
Albrecht Glaser, Kandidat für das Amt eines stellvertretenden Sprechers, lässt etwa wissen, dass er Europa letztlich für ein „linksradikales“ Projekt hält. Glaser muss in eine Stichwahl. Dort setzt er sich mit 56 Prozent gegen Peter Streichan durch. Der hat zuvor in seiner Bewerbungsrede die Grünen als „pädophile Gender-Faschisten-Truppe, die bekämpft werden muss“, bezeichnet und ihren baden-württembergischen Ministerpräsidenten als „Pol-Pot-Gangster Kretschmann“. Zur Zuwanderung fällt ihm ein, es gehe „nicht um Migration, sondern um eine Invasion, der wir uns gegenübersehen“. Ein Glaser oder ein Streichan: Das sind personell derzeit die Alternativen der „Alternative für Deutschland“.
*Dieser Beitrag wurde übernommen mit freundlicher Genehmigung vom "Blick nach Rechts"
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ist freier Autor, beschäftigt sich intensiv mit der „Alternative für Deutschland“ und schreibt unter anderem für den „Blick nach Rechts“.