25 Jahre Deutsche Einheit: Wie der Osten aufholen kann
25 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es noch immer große Unterschiede zwischen Ost und West. Das hat die Studie „So geht Einheit“ des Berlin-Instituts gerade ans Licht gebracht. Wo hapert es aus Ihrer Sicht?
Wenn man sich die Studie ansieht, stellt man fest, dass viele Entwicklungen im Osten zwar früher und schneller ablaufen, aber beide Landesteile betreffen. Das gilt etwa für die Zahl eheloser Partnerschaften, für abnehmende religiöse Bindungen und für die Landflucht. Die entscheidenden Unterschiede, die über Zukunftsperspektiven von Menschen entscheiden, liegen immer noch in der Wirtschaftsstruktur.
Wie kann der Osten in diesem Bereich aufholen?
Mehr Produktivität für die ostdeutsche Wirtschaft wird es nur geben, wenn jede Region ihre spezifischen Stärken ausspielt. Für Sachsen-Anhalt heißt das zum Beispiel: Unsere industrielle Basis muss gestärkt werden, die Betriebe müssen sich auf den nächsten Schub der Digitalisierung einstellen. Das wird nur funktionieren, wenn industrielle Forschung und Entwicklung wieder dasselbe Niveau erreichen wie in anderen Bundesländern. Und der Tourismus hat nachhaltiges Wachstumspotential – wer einmal in Sachsen-Anhalt war, kommt immer wieder.
Bei den Löhnen klafft noch immer eine Lücke zwischen Ost und West. Müssen sich die Ostdeutschen dauerhaft mit niedrigeren Löhnen abfinden wie verschiedene Ökonomen meinen?
Ganz im Gegenteil: Wir dürfen uns nicht damit abfinden. Der Ruf von Ostdeutschland als Billiglohnland führt ja gerade dazu, dass junge Menschen sich nach Ausbildung oder Studium danach umsehen, ob sie anderswo nicht mehr verdienen. Deshalb ist die Angleichung der Löhne ein wichtiger Standortfaktor im Kampf um die Fachkräfte von morgen – innovative und kreative Köpfe brauchen gute Bezahlung. Und in vielen Branchen sind gleiche Löhne ja schon tarifpolitische Realität.
Ein weiteres Problem ist die Demografie: Sachsen-Anhalt etwa hat seit der Wiedervereinigung ein Fünftel seiner Einwohner verloren. Was bedeutet das für die Entwicklung des Ostens?
Das bedeutet, dass uns die Leute fehlen. Wir müssen deshalb Vorreiter dabei sein, Antworten auf die demographische Entwicklung zu finden: durch attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen für junge Familien, durch Förderung von Zuwanderung und durch intelligente Lösungen für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land, in der Verkehrsinfrastruktur, in der Gesundheitsversorgung und in der Bildung.
Das Berlin-Institut kommt zu dem Schluss, dass es „wohl mindestens eine weitere Generation dauern“ wird, bis die beiden 40 Jahre getrennten Teile Deutschlands wirklich wieder zusammengewachsen sind. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich halte das für total spekulativ. In der Generation meiner Töchter, die gerade 19 geworden sind, sind West und Ost überhaupt keine Kategorien mehr. Was bleiben wird, sind starke regionale Unterschiede und Identitäten, wie sie Deutschland immer schon geprägt haben.
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Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.