Olaf Scholz: „Es lag nie an der SPD, dass es geruckelt hat in der Koalition“
Die Koalition mit der FDP war richtig. Ebenso richtig war es, sie nun zu beenden, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz im vorwärts-Interview. Bei der Bundestagswahl will er mit der SPD wieder stärkste Kraft werden. Den Wahltermin im Februar sieht Scholz dabei als gutes Omen.
Dirk Bleicker / vorwärts
Bundeskanzler Olaf Scholz: „Bei dieser Bundestagswahl geht es um unsere Zukunft.“
Der SPD-Parteiverstand hat Sie einstimmig zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl am 23. Februar nominiert. Was bedeutet Ihnen diese erneute Kandidatur?
Es ist eine riesige Ehre für mich, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Ich bin erst der vierte sozialdemokratische Kanzler der Nachkriegsgeschichte. In der Weimarer Republik gab es drei weitere SPD-Politiker als Kanzler. Aus dieser Historie leitet sich für mich ein großer Auftrag ab: Wir kämpfen für einen erneuten Wahlsieg.
Dieser Nominierung vorangegangen war eine längere Diskussion, ob Sie oder Boris Pistorius die SPD in den Wahlkampf führen sollten. Wie haben Sie diese Debatte erlebt und was hätte anders laufen sollen?
Es war richtig, kurz innezuhalten und miteinander zu besprechen, wie die beste Aufstellung für den Wahlkampf aussieht. So haben wir es gemacht. Und jetzt schreiten wir gemeinsam voran. Wir sollten auch nicht vergessen, wie mühsam es war, die Koalition mit Grünen und FDP 2021 überhaupt zu schmieden und über die vergangenen drei Jahre beisammenzuhalten. Insbesondere der russische Überfall auf die Ukraine und die damit verbundenen Folgen für unsere Gas-Lieferungen haben uns vor enorme Probleme gestellt.
Und viele Erfolge der Koalition – die Anhebung des Mindestlohns zum Beispiel, das neue Staatsbürgerschaftsrecht, die Reformen bei Gesundheit und Pflege – wurden leider zu oft von unnötigen und kleinlichen Streitigkeiten innerhalb der Regierung überdeckt. Vielleicht hätte ich da früher die Reißeine ziehen müssen. Aber es lag ja nie an der SPD, dass es so geruckelt hat in der Koalition. Zuletzt ging es beim besten Willen nicht mehr, dann habe ich den Bundesfinanzminister entlassen. Zu dieser Entscheidung stehe ich.
Olaf
Scholz
Es sind ernste Zeiten, deshalb braucht unser Land ernsthafte Politik.
Nach dem Ende der Ampel haben Sie Christian Lindner stark kritisiert. War es ein grundsätzlicher Fehler, eine Koalition mit der FDP einzugehen?
Es war richtig, nach der Bundestagswahl diese Koalition zu bilden. Denn es war der klare Wille der Wählerinnen und Wählern. Die politische Landschaft verändert sich gerade stark, nicht nur bei uns in Deutschland – vielerorts in der Welt. Immer häufiger wird es nötig werden, dass Parteien miteinander eine Koalition bilden, deren DNA das eigentlich nie vorgesehen hat. Da braucht es dann bei allen Beteiligten den Willen zum Kompromiss. Was folgt daraus jetzt konkret für die anstehende Bundestagswahl? Die SPD kämpft um Sieg, nicht um Platz. Wir wollen wieder die stärkste Partei werden, um auch die nächste Regierung anzuführen.
Die Ampel hat letztlich sehr viel erreicht, auch wenn das oft im öffentlichen Streit untergegangen ist. Was sind denn die Projekte, auf die Sie besonders stolz sind?
Der russische Überfall auf die Ukraine hat diese Regierungszeit stark geprägt. Auf die Zeitenwende haben wir schnell und entschlossen reagiert: 100 Milliarden Euro haben wir für ein Sondervermögen aufgebracht, um die Bundeswehr endlich wieder auf Vordermann zu bringen. Unsere Verteidigungsausgaben werden nun auf Dauer mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, auch das ist wichtig. Und wir haben geschafft, was uns die wenigsten 2022 zugetraut haben: eine schwere, langanhaltende Wirtschaftskrise in Deutschland abzuwenden.
Die Hälfte unserer Gaslieferungen brach fast über Nacht weg – und dafür haben wir Alternativen gefunden und zugleich die rasant steigenden Preise abgefedert, damit niemand mit den hohen Kosten allein geblieben ist. Auf all das bin ich stolz – und darauf, dass wir darüber nicht die eigentlichen Aufgaben vernachlässigt haben: Den Mehltau zu beseitigen, der sich über viele, viele Jahre über unser Land gelegt hatte. Nun ist richtig Tempo in den Ausbau von Windkraft und Sonnenenergie gekommen, wir haben die Fristen für Planungen und Genehmigungen massiv verkürzt und wir durchforsten Vorschrift um Vorschrift, um den Bürokratie-Dschungel zu lichten.
Der bevorstehende Bundestagswahlkampf wird der kürzeste aller Zeiten. Er ist noch kürzer als der 2005. Worauf setzen Sie besonders?
Es sind ernste Zeiten, deshalb braucht unser Land ernsthafte Politik. Die SPD kann Wahlkampf, das haben wir immer wieder bewiesen. Und ich habe mit dem Februar als Wahltermin schon zweimal sehr gute Erfahrung gemacht: Mit der SPD in Hamburg habe ich 2011 und 2015 im Februar sehr gute Wahlergebnisse erzielt. Ich nehme das mal als gutes Omen für die nächsten Monate.
Olaf
Scholz
Die Konservativen versuchen uns weiszumachen, die Wahl sei schon gelaufen. Das ist blanker Unsinn.
Und die Themen?
Drei Themen möchte ich nennen: Erstens, Frieden und Sicherheit. Seit bald drei Jahren führt Russland einen unerbittlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Nach den USA ist Deutschland der größte Unterstützer der Ukraine – und wird es bleiben. Die Ukrainerinnen und Ukrainer können fest auf unsere weitere Hilfe bauen. Und ich bleibe standfest bei meinem Kurs, alles zu verhindern, was zu einer Eskalation des Konfliktes hin zu einem Krieg Russlands und der Nato führen könnte. Darauf können sich alle verlassen.
Zweitens geht es um Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft, gerade jetzt, wo sich viele Sorgen machen angesichts der Schwierigkeiten der Stahlindustrie und mancher Auto-Hersteller. Die SPD will die Modernisierung unseres Landes entschlossen, aber pragmatisch vorantreiben. Ich wünsche mir mehr Flexibilität, was beispielsweise die Nutzung von Wasserstoff angeht. Ich bin auch dagegen, dass die deutschen Automobil-Hersteller hohe Strafzahlungen an Brüssel leisten sollen – das Geld sollte besser in die Produktion fließen. Mein Ziel ist es, dass wir ein klimafreundliches Land werden, aber Industrieland bleiben. Darin liegt ein enormes Potenzial, damit wir auch künftig gute und gut bezahlte Arbeitsplätze haben.
Und drittens geht es darum, dass alle ein auskömmliches Leben haben – auch im Alter. Dazu gehören eine gute Gesundheitsversorgung, verlässliche Pflege und eine stabile Rente. Die gesetzliche Rente ist für viele das größte Vermögen. Die SPD hat durchgesetzt, dass es ein stabiles Rentenniveau gibt und wir sind dafür, dass das Rentenniveau langfristig bei mindestens 48 Prozent festzuschreiben. Damit stellen wir sicher, dass die Renten Jahr für Jahr im Gleichschritt mit der Lohnentwicklung steigen. Diese Garantie ist nicht nur für die wichtig, die jetzt in der Rente sind. Sondern auch für die Jungen, die jetzt arbeiten und in die Rentenkasse einzahlen – damit sie sich darauf verlassen können, dass sie im Alter versorgt sind. Ein stabiles und gutes Rentenniveau gibt es nur mit der SPD und einem sozialdemokratischen Kanzler.
All das kostet viel Geld. Wie lässt sich ein Entweder-Oder vermeiden?
Wir brauchen ein gerechteres Steuersystem. Die SPD will, dass das Top-Prozent der Steuerzahler, das am meisten verdient, einen etwas größeren Beitrag zum Gemeinwohl beiträgt. Zugleich wollen wir Investitionen erleichtern, auch dadurch, dass bestimmte öffentliche Unternehmen und Einrichtungen dafür geeignet sind, mit Kapital ausgestattet zu werden. Wir brauchen eine moderate Reform der Schuldenregel. Unter den G7-Staaten, den wirtschaftsstarken Demokratien der Welt, hat Deutschland mit riesigem Abstand den geringsten Schuldenstand. Das soll auch gerne so bleiben, aber wir brauchen mehr Spielraum für die nötigen Investitionen in unser Land.
In den Umfragen liegt die SPD noch deutlich hinter der Union. Bei den Beliebtheitswerten liegen Sie derzeit auf dem letzten Platz aller Kanzlerkandidaten. Wie wollen Sie mit der SPD diesen Rückstand in zweieinhalb Monaten aufholen?
Wir kämpfen! Die Konservativen versuchen uns weiszumachen, die Wahl sei schon gelaufen. Das ist blanker Unsinn. Bei dieser Bundestagswahl geht es um unsere Zukunft.
Wer einen Kanzler will, der erfahren ist, einen klaren Kurs verfolgt und umsichtig entscheidet, auch wenn es stürmisch wird, der muss sein Kreuz bei der SPD machen. Darum geht es am 23. Februar.
ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.