Geschichte

Willy Brandt: Die Kunst zu begeistern

von Klaus Staeck · 26. März 2013

Wie kein anderer Sozialdemokrat faszinierte der SPD-Vorsitzende die Künstler. Viele von ihnen gewann er als Unterstützer und als kritische Begleiter.

Nach Enge und Erstarrung während und nach der Adenauer- Zeit erschien Willy Brandt wie eine Befreiung. Der Emigrant, verspottet als vaterlandsloser Geselle von einer Mehrheitsgesellschaft, die sich in das Wirtschaftswunder geflüchtet hatte, um sich der eigenen dunklen Vergangenheit nicht stellen zu müssen. Brandt stand für das andere Deutschland, dessen man sich nicht zu schämen brauchte. Das Aufbegehren der Studenten um 1968 versetzte die ganze Bevölkerung in einen solchen Unruhestand, dass die Frage nach politischen Alternativen unausweichlich wurde.

Willy Brandt wurde zum Symbol für Aufbruch und Demokratie als Aufgabe. Mit dem Kampf für die Ostverträge setzte er ein Thema, „Mehr Demokratie wagen“ wurde zum Programm. Ab 1967 war die Hoch-Zeit der Wählerinitiativen, in denen sich viele Künstler und Intellektuelle phantasiereich engagierten. Der Slogan „Willy wählen“ signalisierte eine neue Leichtigkeit im Umgang mit Politik.

In dem legendären „Wahlkontor“, einem Zusammenschluss von Schriftstellern, begegneten sich 1965 Politik und Kultur auf bis dahin einzigartige Weise. Auf Anregung von Günter Grass hatten sich zahlreiche Schriftsteller zusammengetan, um Willy Brandt im Bundestagswahlkampf aktiv zu unterstützen. Die neuen Freiräume wurden intensiv zur Einmischung in eigene Angelegenheiten genutzt, man war angetreten mit dem Bewusstsein, die Gesellschaft verändern und demokratischer gestalten zu wollen. Das neue weltoffene Klima lud zur Mitarbeit ein, sei es in Bürgerinitiativen oder in der Partei.

Auch Freundschaften entstehen

Die intensivste persönliche Freundschaft verband Willy Brandt mit Günter Grass, der den unmittelbaren Zugang zu ihm hatte, sowohl als engagierter politischer Unterstützer als auch kritischer Begleiter. Engen Kontakt gab es auch zu Heinrich Böll, der sich besonders für verfolgte Kollegen in der Sowjetunion und den übrigen Ostblockstaaten einsetzte und sich dabei der politischen Unterstützung Brandts sicher sein konnte. Eine enge vertraute Beziehung bestand zu dem Bildhauer Otto Herbert Hajek.

Man traf sich bei den verschiedensten gemeinsamen Veranstaltungen und gelegentlich in lockerer Atmosphäre in der Bonner Zentrale der Sozialdemokratischen Wählerinitiative. Herbert Wehner begegnete diesen Initiativen übrigens mit Misstrauen. Wohl auch deshalb, weil es unter dem Dach der Sozialdemokratie nichts geben sollte, was sich seiner unmittelbaren Kontrolle entzog. Mit Joseph Beuys gab es nur eine Zufallsbegegnung 1979 im Dortmunder Museum Ostwall. Nach Auskunft von Augenzeugen hatten sich beide jedoch nicht viel zu sagen.

Eine gewisse Entfremdung zwischen den Künstlern und Willy Brandt trat ein, als dieser 1972 auf Vorschlag der Innenministerkonferenz den sogenannten Radikalenerlass mittrug, den er in der Auseinandersetzung um die Ostverträge innenpolitisch für notwendig hielt. Trotzdem bleibt festzuhalten: Zu kaum einer Zeit war bei wechselseitigem Respekt das Verhältnis zwischen den Künstlern und der SPD so produktiv, wie unter Willy Brandt.

Im Oktober 1992, am Vorabend seiner Beerdigung, kam es im Berliner Wedding zu einer bewegenden Abschiedsfeier mit Beiträgen u.a. von Günter Grass, Siegfried Lenz, Walter Jens, Peter Rühmkorf, Horst Eberhard Richter, Klaus Wagenbach, Lew Kopelew, Johannes Mario Simmel, Katja Ebstein, Eva Mattes, Mikis Theodorakis und Oskar Negt. Sie alle beschworen noch einmal das freundschaftliche Verhältnis zu einem Patrioten, dem die Republik viel zu verdanken hat.

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Autor*in
Klaus Staeck

ist Ehrenpräsident der Akademie der Künste Berlin.

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