Ein Bild, das vielen anderen die Last erleichterte, die das mörderische Regime der Nationalsozialisten hinterlassen hatte. An diesem Tag der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages, der die Unterzeichnung des Moskauer Vertrages voran gegangen war, wurde Geschichte geschrieben. Willy Brandt hatte rückblickend für diese Geste, die spontan und ganz und gar dem Augenblick geschuldet war, nur den Hinweis, wenn die Worte fehlen, bleibe nur der Kniefall. Und das obendrein als Demutsgeste eines Mannes, der - ohne selbst schuldig geworden zu sein - bereit war, die Schuld anzunehmen und zu tragen, die im Namen Deutschlands aufgehäuft war.
Realist und Visionär
Ein Mahnmal in Warschau, die Stadt, deren Zerstörung der "Führer" befohlen hatte, als die deutsche Besatzung abziehen musste vor der heranrückenden Roten Armee. Und SS und Wehrmacht hinterließen eine Trümmerwüste. Die Zerstörung Warschaus wie zuvor des jüdischen Ghettos gehören in das Arsenal dessen, was mit dem Überfall auf Polen 1939 begann und mit der fabrikmäßig betriebenen Ermordung von fünf Millionen europäischer Juden nicht endete. Auf den Schlachtfeldern des Ostens allein wurden 25 Millionen Tote gezählt und Millionen Polen, mussten als Zwangsarbeiter in den Rüstungsbetrieben schuften unter unmenschlichen Bedingungen, wie alle anderen Sklavenarbeiter auch. Insgesamt kostete dieser Krieg mehr als 50 Millionen Menschen das Leben. Bis heute spüren wir seine Nachbeben und sei es durch die Entschärfung gefährlicher Blindgänger, von denen noch immer 30 000 unter der Erde liegen sollen. Jedes Mal wieder, wenn ganze Stadtteile an beliebigen Orten Deutschlands evakuiert werden müssen, um die Hinterlassenschaft des Bombenkrieges abzuräumen, erhalten wir einen Hinweis auf das Inferno dieser Zeit. Das alles war in dieser Geste eingeschlossen, die dieser Mann da vor vierzig Jahren zeigte.
Der Realist und Visionär Willy Brandt, der selbst im Widerstand gegen die Nazis gestanden hatte, ihm war es in Warschau allein gegeben, durch seine Haltung und sichtbare Abbitte diesem geteilten Nachkriegsdeutschland eine Seele einzuhauchen, die glaubwürdig einen Neuanfang möglich machen sollte. Dazu gehörte dann auch, die Realitäten im Europa der Nachkriegszeit anzuerkennen, um sie überwindbar zu machen. Genau das war mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als Polens Westgrenze geschehen. Brandt hatte damit die Doktrin umgekehrt, für ihn stand das Ziel einer Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr am Anfang, sondern am Ende eines Entspannungsprozesses. Und dies war feierlich mit einem Gewaltverzicht verbunden. Diese Politik durchzuhalten und sich von keiner Schmähung der reaktionären Rechten in Deutschland irritieren zu lassen, war es, was ihm die junge Generation dankte. Erstmals empfanden sie sich von einer Politik angesprochen, die sich nicht in Floskeln oder kaum verhüllten Revancheträumen ergab.
Ein Volk der guten Nachbarn
Ohne Willy Brandt und Egon Bahr, in der Koalition mit einer FDP, die sich sichtbar von ihren braunen Schatten emanzipierte, wäre die Neuordnung Europas nicht gelungen. Heute geht es eher darum, die mühsam errungene Einigung Europas nicht für dümmliche nationale Interessen aufs Spiel zu setzen. Der Rückfall in nationale Egoismen und groteske Überheblichkeit wie gegenüber Griechenland, das ist weit weg von jener Bescheidenheit, die Willy Brandt anmahnte, und die gerade dem Vereinten Deutschland erneut anstünde: ein Volk der guten Nachbarn zu sein. Gerade jetzt, wo Europa dabei ist, sich selbst aufs Spiel zu setzen.
War vorwärts-Chefredakteur von 2006-2010 und ehemaliger Regierungssprecher der Bundesregierung.